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Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
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Es dauerte einfach zu lange, bis sie wieder wärmer wurden. Unsere Kleidung litt natürlich auch, weil wir sie immer nur notdürftig flicken konnten.
       Die Plane unseres Wagens wurde schon in der ersten Nacht gestohlen. Auch der Großteil unserer Habe war nach kurzer Zeit verschwunden. Wir hatten nun keine Decken und Schlafsäcke mehr. Für mich war das der nächste Schock. Was konnte man uns noch wegnehmen? Wir hatten alles verloren, wir hatten Hunger und ich konnte mir nicht vorstellen, was morgen sein würde. Unsere Familie musste jetzt mehr denn je zusammen halten. Mir tat alles weh und wie die anderen war ich total erschöpft. Es sprach schon lange keiner mehr von Zukunft oder dass wir wieder in Frieden leben würden. Ich vertraute meinen Eltern mehr, als dass ich es in Worte fassen könnte. Das waren meine einzigen Gedanken in dieser Kälte und Hoffnungslosigkeit. Wir Kinder waren erzogen worden nicht zu lügen und jetzt mussten wir ständig lügen und Rollen spielen, um zu überleben. Ein einziger Fehler oder Verrat hätte unsere Chancen auf einen Schlag vernichtet. Ich hielt mich bei Mama auf, die mit den anderen Frauen die Wäsche der Russen waschen musste. Unter dem Mist eines Bauernhofes wurden nach dem Ausschütten des Waschwassers die Beine einer toten Frau sichtbar. Es war ein schrecklicher Anblick, aber ich glaube nicht, dass es mich überraschte.
       Die Familie Lilie kam mit uns nach Steinau, fuhr aber auf einem anderen Wagen. In Steinau selbst bat mich jemand aus der Familie, mit dem vierjährigen Jungen spazieren zu gehen, damit er an die Luft kam. Es traute sich niemand auf die Straße und sie dachten wohl, Kinder seien sicher. Ich ging mit ihm und sagte, er möge nicht sprechen, damit die Soldaten nicht merkten, dass wir Deutsche waren. Aber wie Kinder so sind, er hielt den Mund nicht still. Mir wurde klar, dass die Gefahr einfach zu groß wurde und ich musste schnell eine Entscheidung treffen. Ich drehte also um und ging mit ihm wieder zurück ins Haus. Dort wurde ich erstaunt angesehen und gefragt, warum wir schon wieder da wären. Ich hatte Angst, sagte es der Mutter des Kleinen und jemand aus der Familie schaute mich groß an und sagte zu dem Jungen, er solle auf deutsch „Guten Tag, mein Herr,“ sagen, wenn ein Soldat käme. In diesem Moment fehlten mir die Worte. Kann jemand so naiv sein? Als ob sich ein mit einer Maschinenpistole bewaffneter Russe davon aufhalten lassen würde! Erst viel später hörten wir von den Greueltaten der Roten Armee, die sie an Kindern begangen hatten. Zahllose Säuglinge und Kleinkinder wurden vor den Augen der Mütter mit voller Wucht gegen Wände und Mauern geworfen, bis sie mit zertrümmerten Schädeln tot liegenblieben. Selbst danach machten sich die Soldaten noch einen Spaß daraus, indem sie die leblosen, blutüberströmten Körper mit harten Tritten bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten. Nachdem die Kleinkinder umgebracht waren, wurden die älteren Geschwister und Mütter auf grausamste Weise vergewaltigt und in vielen Fällen zu Tode geprügelt. Eine Menge der überlebenden Frauen nahmen sich danach das Leben. Ich führte den Jungen jedenfalls nicht mehr aus.
       Nach einer Woche harter und beschwerlicher Arbeit konnte die Brücke auf einer Fahrspur wieder passiert werden; denn die Männer hatten das beinahe Unmögliche möglich gemacht. Papa sah sehr müde aus und hatte kleinere Verletzungen an den Händen und Knien. Essen gab es weiterhin viel zu wenig, die Stimmung war mehr als schlecht. Papa gab unseren Wagen und einen Ochsen an eine Gruppe Polen ab, die dann über die reparierte Brücke nach Osten zog. Die deutsche Familie Michner fuhr mit ihnen. In einem der Ställe fand Papa einen alten Wagen mit Holzrädern, vor den er den verbliebenen Ochsen spannte.
       Papa gab nicht auf und fasste einen mutigen Entschluss: er konnte fließend polnisch und erklärte den Russen, dass er seine kranke Mutter abholen musste. Das erschien glaubhaft und man ließ uns gehen. Wir luden unser Gepäck auf den großen Handwagen und fuhren wieder Richtung Heidau zurück. Unterwegs hielten uns mehrfach Kontrollen an und Papa musste seine Geschichte immer wieder erzählen. Mama saß übergebeugt und vermummt auf dem Wagen und hatte ihr Kopftuch tief ins Gesicht gezogen. Sie spielte krank und stumm, was sie sehr überzeugend machte und ihr nicht schwerfiel. Ihre polnischen Sprachkenntnisse reichten nicht aus und Papa wählte diese Taktik, damit sie sich nicht

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