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Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
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Dunkelheit flüchten. Deshalb war ich über ein Mauerstück gestolpert, das jemand umgekippt hatte. Mit blutenden Knien rannte ich dann über einen Umweg nach Hause. Ich ging immer mit klopfendem Herzen an die Haustür, trommelte leise ein bestimmtes Zeichen und war erleichtert, wenn Mama mir die Tür öffnete und ich sehen konnte, dass alles in Ordnung war.
       In Höhe des Gehöftes Caspari kam der polnische Bauer, der bei der Nachbarin Menzel und deren fünfjährigem Sohn den Hof bewirtschaftete, und sprach Mama an, sie dürfe ihr Gepäck auf den klapprigen Holzwagen laden, der von einem braunen Pferd gezogen wurde. Der hohe Wagen war schon einige Jahre in Betrieb, was man ihm deutlich ansah. Er hatte mit Eisen beschlagene Holzspeichenräder, kaum noch Schmierfett an der Nabe und sah nicht besonders Vertrauen erweckend aus. Der Pole ließ dann auch noch Gepäck von anderen Familien aufladen und fuhr bis zum Verladeplatz. Wir liefen hinter dem Wagen her und wir waren froh und dankbar, dass wir unsere Taschen nicht tragen brauchten.
       Wir hielten auf dem Grundstück des Sporthauses Melzig an und dachten, es ginge gleich weiter. Weit gefehlt, man ließ uns ganze drei Tage im Freien warten. Es war heiß, obwohl es auch manchmal regnete. Wir wurden nass bis auf die Haut, es gab ja nicht einmal ein Dach zum unterstellen.
       Papa und ich kannten Herrn Melzig schon länger. Er war ein netter, großer Mann, den ich aber nicht auf dem Transport sah. In Friedenszeiten hatte er Lederbälle und Sportschuhe hergestellt, im Krieg musste er die Produktion umstellen und Holzsohlen machen. Wir bezogen die Abfälle der Sohlen für unsere Autos, die mit Holzgas fuhren. Jetzt sah das Haus ziemlich verlassen aus. Die drei Nächte schliefen wir auf unseren Taschen im Freien. Wir aßen nur unser trockenes Brot in dieser Zeit. Das notwendige Trinkwasser durften wir von einem nahegelegenen Brunnen holen, der sich in einem Garten der Nachbarhäuser befand. Selbstverständlich wurden wir dann von einem bewaffneten Soldaten begleitet.
       Am zweiten Morgen stand ich am Zaun und entdeckte die polnische Bäuerin, die seit ein paar Wochen mit in unserem Haus wohnte, die Straße entlangkommen. Auch sie mich sah, winkte sie mich zu sich heran. Sie gab mir ein wildes Rhabarberblatt-Päckchen, mit dem ich durch die wartende Menge zu meiner Mutter zurückging. Ich versteckte es unter meiner nassen Jacke, ich hatte meine Lektion gelernt. Mama packte es aus und es kam ein halbes Pfund Butter zum Vorschein. Dies war ein unglaublicher Moment für uns, denn wir hatten schon lange keine Butter mehr gesehen. Die Bäuerin, deren Namen wir nie erfahren hatten, war uns mit ihren drei Söhnen, 6, 9 und 13 Jahre, vom polnischen Bürgermeister ins Haus gebracht worden. Sie kamen aus Ostpolen und brachten eine Kuh sowie drei Hühner mit. Der Bürgermeister erklärte uns, dass wir alles, was Mama angebaut hatte, mit ihnen teilen müßten.
       Während der Nächte auf dem umzäunten Gelände wurden wir immer wieder von lautem Schreien geweckt, weil polnische Banden unser Handgepäck stehlen wollten. Mit Knüppeln und Fäusten wurden sie gemeinschaftlich verjagt. Tagsüber sahen wir immer wieder Kolonnen von Deutschen mit Handgepäck vorbeiziehen. Endlich am vierten Tag kam der Abmarschbefehl, und wir wurden von polnischen Soldaten zum Bahnhof geführt und auch unterwegs von diesen kontrolliert, ob im Handgepäck verbotene Dinge waren. Gerade als wir die Gleise zu Gesicht bekamen, wurden wir von polnischer Miliz durchsucht, die glücklicherweise nichts bei uns fand. Mama hatte ihren Ehering und ihre goldenen Ohringe, Erbstücke ihrer Mutter, in den Saum ihres Kleides eingenäht.
       Die ganze Gruppe wurde in leere Viehwaggons geschickt, etwa dreißig Menschen in einen. Dittrichs, Tschäpes und Menzels waren in unserem Waggon, und es war schon ganz gut, dass wir uns kannten. Überhaupt waren die Heidauer durch die grausamen Ereignisse zusammengeschweißt worden. Auch die Familie Caspari, deren Hausangestellte ein Baby hatte, war bei uns. Es waren achtzig Menschen von den einst sechshundertvierzig Einwohnern übriggeblieben, die noch 1939 vor dem Kriege in unserem Dorf lebten.
       Unser Sonderzug musste oft anhalten, weil es schon wieder regulären Bahnverkehr gab. Wir durften in den Wartezeiten kurz aussteigen, um uns zu erleichtern. Bei einer dieser Pausen verpasste die Hausangestellte den Einstieg in den Waggon. Es gab eine große Aufregung,

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