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Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
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mit Duschen. Kann sich das jemand vorstellen? Nach über achtzehn Monaten die erste Dusche! Es war die erste Dusche meines Lebens, denn ich hatte immer nur gebadet und es war unglaublich. Wir entdeckten blaue Flecken und kleine Schnittwunden, die wir vorher gar nicht zur Kenntnis genommen hatten. Mir hatte in den zurückliegenden Monaten soviel weh getan, dass ich wohl nicht mehr darauf geachtetet hatte. Selbst das Atmen fiel jetzt leichter, ein erstes, lang vermisstes Gefühl der Sicherheit zog durch den Körper. So ganz traute ich der Situation jedoch nicht und mir fiel wieder mein Vater ein, den ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Wie mag es ihm gehen? Er hatte bestimmt keine heiße Dusche und Seife. Ob er Freunde unter den Gefangenen gefunden hatte? Ich war mir sicher, dass die Russen ihn schlecht behandelten.
       In Dössel, unserem nächsten Haltepunkt, nähte mir Mama dann von Hand ein Sommerkleid aus einem ihrer Kleider. Wir lebten für ein paar Tage, vielleicht zwei Wochen in einem Barackenlager. Die langgestreckten Gebäude bestanden aus Holz und boten Platz für mehrere Familien. Wir bekamen ein Doppelstockbett zugewiesen, in dem wir zu viert schlafen mussten. Es gab einen Speiseraum, in dem wir drei Mahlzeiten am Tag bekamen. Fleisch gab es keins, dafür meist Gemüsesuppen. Uns reichte das Essen nicht, denn wir waren so ausgehungert, dass wir ins Dorf gingen und dort um Essbares bettelten. Wir gingen von Tür zu Tür und fragten freundlich nach etwas Obst oder einem Marmeladenbrot. Ich war meist mit den gleichen Kindern unterwegs, mit denen ich auch das Motorenöl aus der alten Scheune organisiert hatte. Dieses Mal war es jedoch kein Abenteuer, sondern herabwürdigend. Ich fühlte mich erbärmlich und musste einmal mehr meinen auch noch so geringen Stolz herunterschlucken. Einmal bekamen wir jeder ein schönes Stück Streuselkuchen, ein anderes Mal gingen wir über die Felder und sahen, wie ein Bauer eine Ladung Mohrrüben reinigte. Er gab uns drei Möhren pro Kopf, von der ich gleich eine aß, die anderen beiden der Familie mitbrachte. Das Wetter war gleichbleibend gut und trocken. Unsere Wäsche hing jeden Tag auf der Leine und wurde schnell getrocknet. Täglich wurde sie im Waschraum mit etwas Seife gewaschen, denn wir hatten ja sonst nichts zum Anziehen. Die Tage verstrichen und dann erhielten wir eine neue Adresse: das Dorf hieß Rimbeck, von dem wir natürlich noch nie etwas gehört hatten. Wir nahmen unser Handgepäck und setzten uns auf die Ladefläche eines Lastwagens bis zu unserer Endstation Rimbeck.
     

15. Die Glocken von Rimbeck
     
       Dort angekommen hatte sich herausgestellt, dass wir vier nur ein einziges Zimmer bekommen sollten. Es war der Bürgermeister, der entschied, dass Ruth woanders unterkommen müsste. Es standen auch schon Frauen bereit, die eine sogenannte Haustochter suchten. Frau Bergmann fragte ihre Tochter, Frau Kramer (Namen geändert):
    „Willst du die Blonde oder die Schwarze?“
       Wie eine Ware wurde Ruth an diesem Tag zu Kramers geholt. Dieses Vorgehen war so herabwürdigend und ich kann heute immer noch den Kopf darüber schütteln. Es war eine Tragödie, dass Ruth von uns getrennt wurde. Da sie schon siebzehn war, sollte sie froh sein, eine Arbeit zu bekommen, war die Rimbecker Meinung. Für sie war der soziale Abstieg fast nicht zu ertragen, sie kam sich vor wie Aschenputtel. Ruth fühlte sich dort nie wohl. Es gab an ihrer neuen Stelle Kost, freie Unterkunft und ein Taschengeld. Sie arbeitete lediglich im Haushalt der Metzgerei und Gaststätte, hatte also mit Kunden und Gästen nichts zu tun. Unter anderem musste sie der Großmutter des Hauses die Haare bürsten, was sie aber hasste. Andererseits war das Essen gut und reichlich und sie wurde von den anderen Familienmitgliedern angemessen behandelt. Etwas später nutzte sie die erste Gelegenheit, dort wegzukommen.
       Mama, Ursula und ich wurden zum Schmiedemeister Wilhelm Laudage, gegenüber der Rimbecker Kirche, Hausnummer 5, geschickt. Frau Laudage war sehr erstaunt, dass wir zu dritt waren, denn sie hatte nur eine Person erwartet. Ruth konnte nicht mit zu Laudages, weil das Zimmer zu klein war und sie konnte es Mama lange nicht verzeihen, als sie es sich gefallen lassen musste, dass sie zu einer Arbeitsstelle in Rimbeck vermittelt wurde.

    Das Laudage Haus 1946
     
       Frau Laudage trug Trauer. Im April 1946 war der älteste Sohn Hubert mit nur neunzehn Jahren verstorben. Er hatte

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