Der 8. Februar (German Edition)
einzureisen. Das beglaubigte Telegramm galt nur für Personen und eben nicht für ein Auto. Die Grenzbeamten machten keine Ausnahme und so mussten wir uns entscheiden. Papa ging es nicht gut und er schlug vor, dass er nach Hause fahren würde, die Bahnfahrt konnte er sich nicht zumuten. Ich bot mich an, mit ihm zurückzufahren, doch Mama entschied anders. Sie stieg wieder ins Auto, gab mir etwas Geld und sagte:
„Fahrt ihr beide mit dem Zug weiter. Ihr seid jung und werdet euch zurechtfinden. Das wird das Beste sein.“ Wir verabschiedeten uns und wir Mädchen gingen wieder zu den Grenzbeamten. Es gab eine nochmalige Kontrolle und dann betraten wir die DDR. Wir liefen zum Bahnhof, kauften Fahrscheine nach Dresden und fuhren nach einer längeren Wartezeit ab. Der Wagen war ziemlich alt und die Reise ging nur langsam voran. Endlich, um halb zwölf in der Nacht, kamen wir an und wussten nicht weiter. Wir hatten Hunger und kein Nachtlager, das kam mir so bekannt vor. Da erinnerte ich mich an eine Adresse in Dresden, wo es noch Verwandtschaft gab. Es war die Hohe Straße 123. Ich wusste allerdings nicht, wo sie war. Ein Bahnbediensteter gab uns Auskunft und zeigte uns, wo die letzte Straßenbahn abfuhr, die zu unserem Glück sogar in der Hohen Straße hielt. Schnell liefen wir zur Haltestelle, denn wir sahen die Bahn gerade ankommen. Die Fahrt dauerte nicht allzu lange und wir fanden die Adresse. In einem der Fenster brannte noch Licht, der Rest der Straße war dunkel. Ich klingelte und innerhalb weniger Sekunden wurde uns geöffnet.
„Wo wart ihr denn so lange? Wir warten seit Stunden auf euch!“ sagte die Tante und führte uns ins Haus. Wir berichteten von der Reise, bekamen ein schlichtes Abendessen und gingen bald zu Bett, nachdem wir uns mit heißem Wasser in einer Badewanne gewaschen hatten. Am nächsten Tag kam dann der zweite Teil der Reise auf einem Elbdampfschiff. Wir kamen in Reichenbach an und gingen nach kurzem Aufenthalt gemeinsam zum Friedhof. Ich hatte Muttel das letzte Mal Ende Januar 1945 gesehen und es kam mir vor wie gestern. Der Sarg war zu und so blieb sie mir in Erinnerung wie vor elf Jahren. Wir waren nur ein paar hundert Kilometer auseinander und doch war es eine andere Welt. Am gleichen Tag mussten Ruth und ich uns noch auf einem Amt in Meißen melden und ein Formular ausfüllen. Mit peinlicher Genauigkeit wurde über jeden Einreisenden Buch geführt. Wir ließen das alles über uns ergehen und mir tat am meisten Leid, dass die Eltern nicht mitgekommen waren. Einen Tag danach fuhren wir wieder nach Hause.
18. Der Abschied
Die beschwerliche Arbeit bestimmte den ganzen Tagesablauf und wir gönnten uns keinen Urlaub. Die Sonn- und Feiertage nahmen wir uns frei, alles andere hätte für uns nach Faulenzen ausgesehen. Unsere ganze Familie war sehr glücklich, als im Januar 1957 unsere Tochter Andrea geboren wurde. Mama und ich kümmerten uns abwechselnd um sie und wir waren froh, dass sie gesund und unkompliziert war.
Papa erlitt 1958 einen Schlaganfall, von dem er sich noch einmal erholte. Zu seinem Glück konnte er noch gut sprechen, sich bewegen und auch das Laufen bereitete ihm keine sichtbaren Schwierigkeiten. Schon mehrmals war er wegen Herz-Kreislaufbeschwerden im Friedberger Krankenhaus gewesen und immer wieder entlassen worden. Im Januar 1959 spitzte sich die Situation jedoch zu und Ruth, die zum zweiten Mal schwanger war, kam nach Friedberg und besuchte Papa im Krankenhaus. Sie saß allein bei ihm, als Papa ihr seinen gefüllten Teller zuschob und flüsterte:
„Nimm du es, ich habe keinen Hunger.“
Offenbar glaubte er, er befände sich immer noch in russischer Gefangenschaft. Kurz danach war er nicht mehr ansprechbar. Am nächsten Tag gingen wir wieder alle zu ihm und dabei hielt er Kapa an seiner Seite fest. Er sagte leise:
„Kapa, hol das Auto und bring mich nach Hause.“
Mama sprach daraufhin mit dem zuständigen Arzt, der einen Transport ablehnte, weil Papa mit Morphium gegen die Schmerzen versorgt wurde. Kapa sprach noch einmal mit unserem Vater und erklärte ihm die Situation. Papa versicherte ihm, dass er kein Morphium mehr wollte und er bereit sei, das Krankenhaus zu verlassen. Als Kapa sah, wie wichtig es unserem Vater war, holte er das Auto, das mittlerweile ein gebrauchter, grauer Mercedes 180 mit dem Kennzeichen FB-L 1 war. Papa kam wieder nach Hause und endlich entschloss er sich, einen Bad Nauheimer Herzspezialisten, Professor
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