Der 8. Februar (German Edition)
Pierach, zu konsultieren. Aufgrund der Dringlichkeit konnte ein kurzfristiger Termin vereinbart werden, der auf den Aschermittwoch fiel.
Mama erzählte uns von Papas erschreckenden Träumen und dass er im Wachzustand wilde Tiere vor sich sah, die sich um sein Bett versammelten und ihn bedrohten. Er verlangte nach einem Beil und Mama holte es ihm aus der Werkstatt. Natürlich hatte sie große Angst und legte es neben dem Bett auf den Boden.
Die nächste Nacht verbrachte ich in einem Sessel im angrenzenden Büro, den wir auf dem Grundstück gefunden hatten. Bei geöffneter Tür wachte ich über das Beil neben dem elterlichen Bett, in dem auch Mama schlief. Ich wurde dabei nicht müde, das Adrenalin tat seinen Dienst und hielt mich wach.
Papa hatte 1956 einen Schwarzweiß-Fernseher gekauft, der gegenüber dem Bett auf Idas Anrichte stand. Am Fastnachtsdienstag sahen wir wie gewohnt zusammen die Nachrichten vom Tage und auch die anschließende Sendung bis gegen 21:30 Uhr. Danach zogen wir uns zur Nachtruhe zurück und ich setzte mich wieder in den Sessel im Büro.
Aschermittwoch, der elfte Februar, kam, und Papa fror fürchterlich. Er stand auf und setzte sich auf das alte Sofa, das vielleicht noch vom Vorbesitzer Seligmann war. Wir hatten es im Haus bei unserem Einzug gefunden, mir schien es aus vorsintflutlicher Zeit zu sein. Mit Hilfe des Durchlauferhitzers machten wir heißes Wasser, gossen es in den Einkochapparat und er nahm ein langes Fußbad, bis es ihm wieder einigermaßen warm wurde. Gleichzeitig bestellten wir unseren Hausarzt Doktor Stamm. Papa ging es inzwischen so schlecht, dass an den Termin mit Professor Pierach nicht mehr zu denken war. Doktor Stamm beendete seine Sprechstunde und kam zu uns ins Haus. Er sah nach Papa und nahm anschließend Mama beiseite. Kurz darauf kam eine Kranken- und Ordensschwester aus dem Friedberger Schwesternhaus, deren Namen ich aber nicht mehr weiß. Sie gab ihm eine Beruhigungsspritze und bat Mama, den Pfarrer zu verständigen. Sie hatte bläuliche Flecke auf Papas Haut gesehen und wusste, was sie bedeuteten. Es dauerte nicht lange und der Pfarrer traf ein, der sich wunderte, weil Papa wieder ganz passabel aussah. In aller Ruhe gab er ihm die Krankensalbung. Mama blieb an Papas Bett und ich fing an, das Abendessen vorzubereiten. Gegen halb acht kam Mama angerannt und rief uns zusammen. Papa wollte sich noch einmal aufsetzen. Wir halfen ihm, die Beine auf den Boden zu setzen und stützten seinen Rücken mit Kissen. Er sprach dabei kein Wort und ich sah ihm ins Gesicht. Innerhalb einer Sekunde sah ich noch einmal die wichtigsten gemeinsamen Erlebnisse vor mir, das Schaukelpferd, Papas Abholung, seine Heimkehr und all die anderen prägenden Ereignisse. Still brach sich das Licht in seinen Augen, meine Kehle wurde zugeschnürt. Er wollte nicht liegend von uns gehen, das war seine Art des Abschieds. Unter großen Schmerzen und mit letzter Kraft schickte er uns ein unvergessliches Lebewohl. Danach sackte er zusammen, Mama fing ihn noch einmal auf und gemeinsam legten wir ihn zurück auf das Bett. Jetzt gab es kein Zurück mehr, sein Leben hatte sich erfüllt. Tränen füllten meine Augen und es verschwamm alles. Der Mittelpunkt, die treibende Kraft unseres Lebens, war von uns gegangen, am gleichen Datum wie seine Mutter vierzehn Jahre zuvor.
Sein Leichnam wurde in den dafür vorgesehenen Raum neben der Friedberger Trauerhalle gebracht und dort aufgebahrt. Wir brachten ihm eine große Vase mit weißen Chrysanthemen und stellten sie neben den Sarg. Jeden Tag gingen wir ihn gemeinsam besuchen. Meine Schulfreundin Elisabeth kam auch zu seiner Beerdigung am 16. Februar und gemeinsam nahmen wir Abschied von dem Mann, dem wir soviel zu verdanken hatten. Er hinterließ eine große Lücke in unserem Leben. Für mich war und bleibt er immer ein Held.
Wie es weiterging
Kapa und ich übernahmen die Leitung der Firma und bekamen drei Kinder. Er wurde Geschäftsführer und ab 1967 Inhaber der Maiwald KG. Kapa brachte die Firma noch einmal ganz nach oben, stellte neue Arbeiter ein und Zeit seines Lebens baute er immer wieder neue Maschinen, neue Fabrikgebäude, einen großzügigen Verkaufsraum und was sonst gebraucht wurde. 1966 flog er nach Südamerika, um ein Angebot zu prüfen, eine Gerberei zu übernehmen und dorthin umzusiedeln. Am Anfang sah es ganz gut aus, doch die politische Lage war einfach zu unsicher, und nach drei Monaten kam er wieder nach
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