Der 8. Tag
Papiere waren zwar nicht direkt falsch, es waren schon richtige Papiere, aber halt nicht die seinen. Wenn man sie überprüfte, würde der Betrug schnell auffliegen. Was in Los Angeles als die aufregendste Sache, die ihm je widerfahren war, begonnen hatte, entwickelte sich nun zu einer Zerreißprobe, bei der sein eigener Wille und jedes Gefühl für das, was er war, sich mit alarmierender Geschwindigkeit verflüchtigte.
Er versprach sein Bestes zu tun, doch würde er sich gerne des Erfolges sicherer sein können.
»Es ist absolut wichtig, dass du an ihr bleibst«, erklärte die Stimme tonlos. »Ich muss wissen, was sie vorhat.«
»Ich tue alles, was ich kann.«
»Gibt es Hinweise, dass sie jemandem von mir erzählt hat?«
»Nein. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, aber natürlich bin ich nicht sicher.«
»Du musst sicher sein.«
»Bevor ich mit ihr fertig bin, werde ich das sein.«
Als er an das Ende dachte, durchfuhr ihn ein kurzes, erwartungsfrohes Schaudern. Sie war anders als die anderen. Nicht so sehr von ihrem Aussehen her. Sie gefiel ihm. In dieser Beziehung würde es so gut wie immer sein. Er hatte sich schon vorgestellt, wie das Ende sein würde, und es immer wieder in seinem Kopf wie einen Film ablaufen lassen.
Film. Das erinnerte ihn daran, wie schwer es ihm gefallen war, seine Videos zu Hause in Los Angeles wegzuwerfen, aber er hatte keine Wahl gehabt, denn die Polizei würde sein Haus durchsuchen, sobald sie festgestellt hätte, dass er verschwunden war. Natürlich würden sie immer noch seine wertvolle Sammlung ihrer Filme finden, doch an diesen war nichts Belastendes und ihr Besitz war nicht verboten. Wenn die Sache gut lief, dann hoffte er sie eines zukünftigen Tages zurückzuerhalten.
Während die Stimme weiter zu ihm sprach, bemerkte er, dass er mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders war. Jedes Mal, wenn ihm das passierte, ärgerte er sich, doch die Ausdruckslosigkeit der Stimme, ganz abgesehen von dem beklemmenden Gedanken, wer da sprach, machten es schwer, sich zu konzentrieren.
»… sie reagieren immer noch nicht«, vernahm er die Worte.
»Bis jetzt haben sie noch nichts getan, damit ich die benötigte Information erhalten könnte.«
Er wusste jetzt, um was es ging. Diese Unterhaltung hatte in Variationen schon mehrfach stattgefunden. Das Wesen, das er inzwischen als Gott ansah, benutzte seine unbestechliche Logik um sich den Gefahren zu stellen, die auf ihn warteten. Von dem Augenblick in Berlin an, als er bemerkte, dass sie wusste, dass er lebte und frei war, war ihm klar, dass alle ihre Gedanken und Handlungen nur auf eines ausgerichtet waren: seine Zerstörung. Das war schon bei der ersten Anweisung, die sie nach Oxford übermittelt hatte und woraufhin die Verbindung des Modems unterbrochen wurde, klar geworden. Es war zwar zu spät gewesen, aber trotzdem ein eindeutiger Hinweis auf ihre Pläne. Zusätzlich gab es da noch die Nachricht, die der Mann namens Ted Sawyer von Berlin aus nach Kalifornien übermittelt hatte und die diese Pläne nur noch einmal bestätigt hatte.
Trotz seiner Versuche sie als Bedrohung auszuschalten, war es ihr gelungen, nach Oxford zurückzukehren. Er wusste, dass sie seitdem die Stadt nicht verlassen hatte und an dem nun vom Netz getrennten Computer arbeitete. Er wusste außerdem, dass sie etwas vor ihren Vorgesetzten verbarg, und er hatte aus deren Kommunikation erfahren, dass sie zunehmend besorgt darüber waren. Deshalb hatte er Unterlagen gefälscht, Listen von Telefonanrufen, die sie nie getätigt hatte, Spuren zu geheimen Bankkonten, die nirgendwo außer im Cyberspace, dem Netz der Elektronen, existierten, und die ihre Vorgesetzten veranlassen sollten etwas gegen sie zu unternehmen. Er war sicher, dass alles, was sie herausfinden würden, in offiziellen Dateien abgelegt würde, zu denen er Zugang hatte, und damit würde er schließlich wissen, was sie machte. Doch nichts hatte bis jetzt so geklappt wie geplant. Und die Zeit verging, wurde sogar knapp. Selbst für ihn. Wenn er nicht wusste, welche Bedrohung auf ihn zukam, konnte er sich auch nicht schützen.
»Meine Zukunft liegt in deiner Hand«, erklärte die Stimme,
»so wie die deine in meiner.«
Die Worte drückten eine deutliche Warnung aus. Wenn er seinen Teil nicht erledigte, dann könnten ihn jederzeit die Behörden schnappen. Doch er sah das nicht als wirkliche Bedrohung an. Man musste ihm nicht drohen, wenn die Belohnung für den Erfolg so verlockend war. Die
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