Der Abgrund
Jeder ihrer professionellen Instinkte riet ihr, Schluss zu machen, die Sitzung abzubrechen, und doch konnte sie es einfach nicht.
»Diese Teppichrollen. Hart wie Eisen«, sagte Web mit seiner tiefen Männerstimme. »Ich hab eine, hatte sie unter den Kleidern. Ich stehe jetzt, bin viel größer als er. Er ist ein kleiner Mann, so klein.«
»Web«, begann Claire. Sie gab das Spiel mit dem Kameramann auf. Die Sache geriet außer Kontrolle.
»Ich hab sie in meiner Hand. Wie einen Baseballschläger. Ich bin ein sehr guter Baseballspieler. Ich kann ganz weit schlagen. Ich kann härter schlagen als alle anderen. Ich bin groß und stark. Wie mein Dad. Mein richtiger Dad.«
»Web, bitte.«
»Er sieht noch nicht mal her. Weiß nicht, dass ich hier bin. Schläger hoch.«
Wieder änderte sie ihre Taktik. »Herr Kameramann, ich möchte, dass Sie die Kamera ausschalten.«
»Der Ball kommt. Ein schneller Ball. Ich sehe ihn. Ich seh ihn kommen.«
»Herr Kameramann, ich möchte, dass Sie... «
»Er ist fast da. Er dreht sich. Das will ich auch. Ich will, dass er das sieht. Mich sieht.«
»Web! Schalten Sie sie aus.«
»Er sieht mich. Er sieht mich. Der Ball kommt.«
»Schalten Sie die Kamera aus. Stopp, Sie sehen das nicht.
Stopp!«
»Er hat Angst! Er sieht mich, er weiß, wie hart ich schlagen kann. Er hat Angst, ich nicht! Nie wieder! Nie wieder!«
Hilflos sah Claire mit an, wie Web einen imaginären Baseballschläger ergriff und zuschlug.
»Treffer! Treffer. Ein Superschlag, ein Superschlag. Der Ball kommt runter. Er kommt runter. Es ist ein Homerun. Er ist raus, raus. Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn, du Arschloch.« Er verstummte einen Augenblick lang, und Claire beobachtete ihn genau.
»Er steht auf. Er steht wieder auf.« Er hielt inne. »Ja, Mom«, sagte er. »Hier ist der Schläger, Mom.« Er streckte die Hand aus, als wolle er jemandem etwas geben. Claire hätte fast selbst die Hand ausgestreckt, um es zu nehmen, riss sich dann aber zusammen.
»Mom schlägt ihn. Auf den Kopf. Blut. Er bewegt sich jetzt nicht mehr. Nicht mehr. Es ist vorbei.«
Er wurde still und sackte zurück in den Sessel. Claire lehnte sich ebenfalls zurück. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie eine Hand auf ihre Brust legte, als könnte sie es so beruhigen. Sie konnte sich nur noch vorstellen, wie Raymond Stockton die Treppe vom Dachboden hinunterstürzte, nachdem er von einer harten Teppichrolle getroffen worden war. Auf dem Weg nach unten schlug er sich den Kopf auf und wurde schließlich mit derselben Teppichrolle von seiner Frau erledigt.
»Ich möchte, dass Sie sich jetzt wieder entspannen, Web. Ich möchte, dass Sie schlafen, nur schlafen, das ist alles.«
Sie sah, dass sein Körper noch tiefer in den Sessel rutschte.
Als Claire aufblickte, bekam sie einen weiteren Schock. Romano stand da und starrte sie an, die Hand an der Waffe.
»Was geht hier vor?«, fragte er.
»Er steht unter Hypnose, Mr Romano. Es ist alles in Ordnung.«
»Woher soll ich das wissen?«
»Da werden Sie mir einfach vertrauen müssen.« Sie war noch immer zu aufgewühlt, um mit dem Mann zu diskutieren. »Wie viel haben Sie mitbekommen?«
»Ich kam zurück, um nach Web zu sehen, und da hörte ich ihn schreien.«
»Er durchlebt gerade ein paar äußerst empfindliche Erinnerungen aus seiner Vergangenheit. Ich weiß noch nicht, was das alles bedeutet, aber es war schon ein großer Schritt, überhaupt so weit zu kommen.«
Claires Erfahrungen mit der Gerichtsmedizin ließen sie mehrere Theorien in Betracht ziehen. Es war offensichtlich geplant gewesen, die Schläge mit der Teppichrolle auszuführen. Wenn Stockton Teppichfasern in der Kopfwunde hatte, als er auf dem Boden aufschlug, und wenn der Teppich auf dem Boden derselbe war wie das Reststück auf dem Speicher, würde die Polizei davon ausgehen, dass er sich die Verletzung beim Sturz zugezogen hatte. Sie würden niemals vermuten, dass ihn jemand mit einem zusammengerollten Reststück auf dem Speicher niedergeschlagen hatte. Nach all den Beschwerden wegen Misshandlungen gegen den Mann waren alle, die Polizei eingeschlossen, wohl dankbar gewesen, dass er endlich tot war.
Web hatte gesagt, dass seine Mutter den Kleiderhaufen dorthin gelegt hatte. Hatte sie auch die Teppichrolle besorgt? Hatte sie ihren großen, starken Sohn auch unterwiesen, wie man sich des brutalen Ehemannes entledigen konnte? Hatte die Frau die Sache auf diese Weise regeln wollen? Und war dann eingeschritten, um die Sache zu Ende zu
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