Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
und dachte an seine Freunde. Im schützenden Sommer von Jao é-Tinukai’i konnte man sich nur schwer vorstellen, wie der Rest der Menschheit unter dem grausamen Winter dort draußen leiden musste. Wo war Binabik? Miriamel? Prinz Josua? Waren sie noch am Leben? Dem Sturm schon zum Opfer gefallen? Oder kämpften sie noch?
Immer verzweifelter flehte er Jiriki an, ihn noch einmal mit Amerasu sprechen zu lassen oder sie um seine Freilassung zu ersuchen, aber der Prinz weigerte sich.
»Es steht mir nicht zu, Erster Großmutter zu sagen, was sie tun soll. Sie wird handeln, wenn sie es für richtig hält und sobald sie alles genau überlegt hat. Es tut mir leid, Seoman, aber diese Dinge sind zu wichtig, als dass man sie überstürzen dürfte.«
»Überstürzen!«, tobte Simon. »Bis hier irgendjemand eine Hand rührt, bin ich tot!«
Aber Jiriki, wenn auch sichtlich betrübt, blieb unerbittlich.
Als er überall auf Hindernisse stieß, verwandelte Simons Kummer sich allmählich in Wut. Die zurückhaltenden Sithi kamen ihm unerträglich eingebildet und selbstgerecht vor. Während Simons Freunde einen furchtbaren, aussichtslosen Krieg gegen den Sturmkönig und Elias führten, schlenderten diese törichten Geschöpfe durch ihren sonnigen Wald, sangen und betrachteten stundenlang die Bäume. Und war nicht schließlich der Sturmkönig auch ein Sitha? Kein Wunder, dass sein Volk Simon hier einsperrte, während draußen die Welt unter Inelukis kaltem Hass zugrunde ging.
So verrannen die Tage, und Simon wurde immer verbitterter. Er hörte auf, mit Jiriki zu Abend zu essen, und lauschte lieber allein dem Gesang der Grillen und Nachtigallen. Aditus Spielereien nahm er übel und ging ihr aus dem Weg. Er hatte es satt, geneckt und gestreichelt zu werden, und er wusste, dass er ihr nicht mehr bedeutete als anderen ihr Haustier. Er hatte genug davon. Wenn er schon als Gefangener leben musste, wollte er sich auch so benehmen.
Jiriki fand ihn in einem Lärchengehölz, wo er, finster und stachlig wie ein Igel, vor sich hin brütete. Im Klee summten die Bienen, und durch die Nadeln fiel die Sonne und zeichnete ein Muster aus sich kreuzenden Lichtstreifen auf den Boden. Simon kaute an einem Stück Rinde.
»Seoman«, begann der Prinz, »darf ich mit dir sprechen?«
Simon runzelte die Stirn. Er wusste, dass die Sithi – ganz anders als die Menschen – sich tatsächlich entfernten, wenn man ein Gespräch ablehnte. Jirikis Volk hatte großen Respekt für den Wunsch nach Zurückgezogenheit.
»Ich denke schon«, erwiderte Simon.
»Ich möchte, dass du mich begleitest«, erklärte Jiriki. »Wir wollen zum Yásira gehen.«
Sofort fühlte Simon eine neue schmerzliche Hoffnung in sich aufkeimen. »Warum?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass wir alle aufgefordert wurden, uns dort einzufinden, alle Bewohner von Jao é-Tinukai’i. Da auch du jetzt hier wohnst, halte ich es für richtig, dass du mitkommst.«
Simons Mut sank. »Das heißt, ich bin nicht eingeladen.« EinenAugenblick hatte er es sich ausgemalt: Shima’onari und Likimeya entschuldigten sich für ihren Irrtum und schickten ihn, mit Geschenken überhäuft, zu den Menschen zurück, zugleich mit der Weisheit ausgestattet, wie Josua und den anderen geholfen werden konnte … Wieder einer von seinen Mondkalb-Tagträumen! War er damit immer noch nicht fertig? »Ich habe keine Lust«, sagte er.
Jiriki hockte sich neben ihn, anmutig wie ein Jagdfalke auf einem Ast. »Ich würde mich freuen, wenn du mitkämest«, meinte er. »Ich kann dich nicht zwingen und will auch nicht bitten, aber Amerasu wird dort sein. Es ist sehr selten, dass sie zu unserem Volk zu sprechen wünscht, abgesehen vom Tag der Tanzenden Jahre.«
Simon horchte auf. Vielleicht wollte Amerasu zu seinen Gunsten reden? Befehlen, dass man ihn freiließ? Aber wenn das so war, weshalb hatte man ihn dann nicht aufgefordert zu kommen?
Er heuchelte Gleichgültigkeit. Was immer auch geschehen mochte, wenn er etwas von den Sithi gelernt hatte, dann war es das. »Jetzt fangt Ihr schon wieder von den Tanzenden Jahren an, Jiriki. Ihr habt mir nie gesagt, um was es dabei eigentlich geht. Seht Ihr, ich habe mir den Hain der Tanzenden Jahre schon einmal angeschaut.«
Jiriki schien ein Lächeln zu unterdrücken. »Nicht aus allzu großer Nähe, glaube ich. Aber lassen wir das. Seoman, du spielst ein Spiel. Ein andermal will ich dir über die Pflichten meines Hauses erzählen, was ich kann, nun aber ist es Zeit zu gehen. Wenn du
Weitere Kostenlose Bücher