Der Adler ist entkommen
Vergleich zu uns, aber sie müssen beichten, um die heilige Messe feiern zu können. Für beides ist ein Priester nötig. Und dann sind da ja noch die Patienten, die katholisch sind.«
»Also auch Steiner, meinen Sie?«
»Sie können ihm keinen Priester verweigern, schon gar nicht an einem solchen Ort.« Er grinste. »Es ist eine Idee.«
»Haben Sie schon mal über Ihr Aussehen nachgedacht?« erkundigte sie sich.
»Ach, damit können wir uns noch etwas Zeit lassen. Ich werde zu einem dieser Filmleute gehen, die der General erwähnt hat. Und mich völlig auf sie verlassen.«
Sie nickte. »Hoffentlich finden wir etwas in den Akten der Operation Seelöwe. Das Problem ist, daß das Material so umfangreich ist.« Sie stand auf. »Wie dem auch sei, ich glaube, ich gehe wieder ins Bett.«
Draußen erklangen die Luftschutzsirenen. Devlin lächelte sarkastisch. »Nein, das werden Sie nicht. Sie ziehen sich jetzt an, sind ein braves Mädchen, und wir gehen zusammen runter und verbringen eine weitere lustige Nacht im Keller. Wir treffen uns in fünf Minuten.«
Schellenberg nickte. »Als Priester? Ja, das gefällt mir.«
»Mir auch«, sagte Devlin. »Es ist fast so gut wie eine Uniform. Ein Soldat, ein Briefträger, ein Gepäckträger - man erinnert sich an die äußere Erscheinung, nicht so sehr an das Gesicht. Man sieht nur die Uniform. Bei einem Priester ist es ganz ähnlich. Eine schwarze Soutane, aber kein Gesicht.«
Sie standen über einen zusammenklappbaren Kartentisch gebeugt, den Schellenberg aufgestellt hatte. Vor ihnen lagen die Grundrißpläne der St. Mary's Priory.
»Haben Sie schon eine Idee?« fragte Schellenberg. »Schließlich beschäftigen wir uns jetzt seit Tagen mit diesen verdammten Skizzen.«
»Am interessantesten ist dies hier.« Devlin tippte mit einem Finger darauf. »Das sind die Pläne des Architekten für die Umbauten, die im Jahr 1910 vorgenommen wurden, als das Kloster römisch-katholisch wurde und die Barmherzigen Schwestern einzogen.«
»Was meinen Sie genau?«
»Unter der Erde ist London ein Irrgarten, eine Welt für sich. Ich habe mal gelesen, daß es unter der Stadt über hundert Meilen Flußläufe gibt, wie der Fleet, der im Hampstead entspringt und in Blackfriars in die Themse mündet, und das alles unterirdisch.«
»Und?«
»Das Abwassersystem ist sieben- oder achthundert Jahre alt, es ist ein Gewirr von Kanälen und Rohren. Niemand weiß genau, wo sie überall verlaufen. Meist bringen das erst Ausgrabungen ans Licht oder Umbauten, wie in unserem Fall. Sehen Sie sich mal den Bauplan an. Die Krypta unter der Kapelle wurde früher regelmäßig überflutet. Dieses Problem konnten sie lösen, weil sie einen Fluß entdeckten, der gleich nebenan durch einen Tunnel aus dem achtzehnten Jahrhundert floß. Sehen Sie, der Plan zeigt, wo er in die Themse mündet.«
»Sehr interessant«, sagte Schellenberg.
»In die Wand der Krypta wurde ein Gitter eingebaut, damit das Wasser in den Tunnel abfließen kann. Auf dem Plan steht ein entsprechender Hinweis.«
»Also ein Weg nach draußen, meinen Sie?«
»Es ist eine Möglichkeit. Das müßte überprüft werden.« Devlin warf seinen Bleistift auf die Pläne. »Wir müssen vor allem in Erfahrung bringen, wie es dort drinnen aussieht, Herr General. Nach dem, was wir bisher wissen, könnte es kinderleicht sein. Eine Handvoll Wächter, lasche Disziplin.«
»Möglich wäre aber auch, daß man Sie bereits erwartet.«
»Klar, aber nicht, wenn sie glauben, daß ich immer noch in
Berlin bin«, erinnerte ihn Devlin.
In diesem Augenblick kam Ilse Huber aufgeregt herein. »Sie hatten recht, mich die rechtsgerichteten Organisationen der Briten überprüfen zu lassen, Herr General. Ich fand dort Informationen über einen Mann, der auch mit Seelöwe zu tun hatte.«
»Wie lautet sein Name?« fragte Schellenberg.
»Shaw«, sagte sie. »Sir Maxwell Shaw«, und sie legte zwei pralle Aktenordner auf den Tisch.
6
Romney Marsh, etwa fünfundvierzig Meilen südöstlich von
London an der Küste von Kent gelegen, ist ein zweihundert Quadratmeilen großes Gebiet, das mit Hilfe von Kanälen und Gräben bereits zur Zeit der Römer dem Meer abgerungen worden war. Ein großer Teil liegt unterhalb des Meeresspiegels, und unzählige Entwässerungsgräben verhindern, daß es wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückfällt.
Charbury war noch nicht einmal ein
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