Der Adler ist gelandet
Gas weg, hielt aber das Tempo. Und dann, als sich dieses wohlbekannte Gefühl einstellte, dieser seltsame sechste Sinn, Ergebnis mehrerer tausend Flugstunden, der ihm sagte, wenn der richtige Moment gekommen war, zog er den Steuerknüppel hart an. »Jetzt!« schrie er. Böhmler, der in äußerster Anspannung gewartet hatte, reagierte blitzschnell und zog das Fahrgestell ein. Plötzlich flogen sie. Gericke ließ die Maschine in die graue Mauer stoßen, wartete bis zum letztmöglichen Augenblick, ehe er den Steuerknüppel durchzog. Bei hundertsechzig Meter durchbrachen sie den Nebel, Gericke trat auf das rechte Seitenruder und schwenkte über die See hinaus.
Vor dem Hangar saß Oberst Radl auf dem Beifahrersitz des Kübelwagens und starrte entgeistert in den Nebel hinauf. »Allmächtiger!« flüsterte er. »Er hat's tatsächlich geschafft!« Noch eine Weile blieb er regungslos sitzen und lauschte auf das Motorengeräusch, das sich allmählich in der Nacht verlor. Dann nickte er Witt zu, der am Steuer saß. »Zurück zum Bauernhaus! Und Beeilung, Witt. Ich habe allerhand zu erledigen.«
Man konnte nicht behaupten, daß auch im Innern der Dakota die Hochspannung abgeklungen wäre, aus dem einfachen Grund, weil dort nie Hochspannung geherrscht hatte. Die Männer unterhielten sich leise, mit der Ruhe erfahrener Krieger, die dergleichen schon so oft erlebt hatten, daß es zur Routine geworden war. Da niemand deutsche Zigaretten bei sich haben durfte, gingen Neumann und Steiner herum und gaben sie stückweise aus.
Altmann sagte: »Der Hauptmann versteht was vom Fliegen, das muß man ihm lassen. Einfach toll, in diesem Nebel zu starten.« Steiner wandte sich an Preston, der am Ende der Reihe saß. »Zigarette?« fragte er auf englisch.
»Vielen Dank, Sir, gern«, erwiderte Preston. Seiner Stimme war anzuhören, daß er wieder den schneidigen Captain der Coldstream Guards spielte.
»Na, wie fühlen Sie sich?« fragte Steiner leise.
»In Hochstimmung, Sir«, erwiderte Preston gelassen. »Kann's kaum noch erwarten, bis ich dran bin.«
Steiner gab es auf und ging wieder ins Cockpit, wo Böhmler Gericke gerade aus einer Thermosflasche Kaffee gab. Sie flogen jetzt in siebenhundert Meter Höhe. Dann und wann blinkten Sterne und eine bleiche Mondsichel durch einen Wolkenspalt. Drunten bedeckte Nebel die See, wie Rauch, der über einem Tal hängt, ein faszinierender Anblick. »Wie steht's?« fragte Steiner.
»Bestens. Nur noch dreißig Minuten. Allerdings nicht besonders viel Wind, etwa fünf Knoten, würde ich sagen.«
Steiner wies mit dem Kopf auf den Waschkessel unter ihnen. »Was meinen Sie? Wird es genügend aufklaren, wenn Sie runtergehen?« »Das ist die Frage«, grinste Gericke. »Vielleicht lande ich mit euch zusammen auf dem Strand.«
In diesem Augenblick stieß Böhmler, der tief über das Lichtenstein-Gerät gebeugt saß, einen leisen Ruf aus. »Es tut sich was.«
Sie stießen in eine kurze Wolkenfront. Steiner sagte: »Was kann das sein?«
»Vermutlich ein Nachtjäger, weil er allein ist«, sagte Gericke. »Betet, Kinder, daß es keiner von den Unsrigen ist.«
Sie tauchten wieder aus den Wolken auf, und Böhmler stieß Gericke an. »Kommt wie ein geölter Blitz, Steuerbord-Quadrat.« Steiner wandte sich um, und nach ein paar Sekunden sah er deutlich eine zweimotorige Maschine steuerbords fliegen.
»Eine Mosquito«, sagte Gericke, und fügte ruhig hinzu: »Hoffentlich erkennt er seine eigenen Leute.«
Die Mosquito hielt nur ein paar Augenblicke auf Parallelkurs, wackelte ein paarmal mit den Tragflächen, drehte dann mit großer Geschwindigkeit ab und verschwand im dichten Gewölk.
»Na, wer sagt's denn!« Gericke blickte vergnügt zu Steiner auf. »Die ganze Kunst besteht darin, daß man's richtig macht. Jetzt sollten Sie aber wieder zu Ihren Jungens gehen und nachsehen, ob sie absprungbereit sind. Wenn alles klappt, müßten wir Devlin dreißig Kilometer vor der Küste über Sprechfunk hören. Ich rufe Sie, wenn's soweit ist. Und jetzt nichts wie raus mit Ihnen. Böhmler hat raffinierte Navigationsmanöver vor.«
Steiner kehrte in die Hauptkabine zurück und setzte sich neben Neumann. »Nicht mehr lange.« Er gab ihm eine Zigarette. »Was lesen Sie da?«
»Shakespeare«, erwiderte Neumann. »Maß für Maß. Fabelhaft. Ja, aber sterben! Gehn, wer weiß, wohin. Daliegen kalt und regungslos und faulen...« »Vielen Dank«, sagte Steiner. »Das ist genau das, was ich brauche.«
Es war kalt am Strand, und
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