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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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einen Tee zu holen.
    Es wurde heller. Einige Lastwagen erwachten mit dicken schwarzen Rauchwolken zum Leben. Der Belutschi ging zu seinem Wagen zurück. Martin folgte ihm.
    »Ich grüße dich, mein Bruder.«
    Der Belutschi erwiderte den Gruß, aber nicht ohne Misstrauen.
    »Fährst du zufällig nach Süden, zur Grenze nach Spin Boldak?«
    Wenn der Mann nach Pakistan zurückwollte, würde er die Grenze in dieser kleinen Grenzstadt südlich von Kandahar überschreiten. Bis dahin würde auf Martins Kopf ein Preis ausgesetzt sein. Die Grenzkontrollen würde er zu Fuß umgehen müssen.
    »Wenn es Allah gefällt«, antwortete der Belutschi.
    »Würdest du im Namen des Allbarmherzigen einen armen Mann, der zu seiner Familie will, mitfahren lassen?«
    Der Belutschi überlegte. Normalerweise begleitete ihn sein Vetter auf diesen langen Fahrten nach Kabul, aber jetzt lag er krank in Karachi. Er hatte die Fahrt allein gemacht, und das war anstrengend.
    »Kannst du so einen fahren?«, fragte er.
    »Ich bin viele Jahre lang Lastwagenfahrer gewesen.«
    So fuhren sie in geselligem Schweigen nach Süden und hörten die orientalische Popmusik aus dem alten Plastikradio, das auf dem Armaturenbrett klemmte. Es kreischte und pfiff aus dem Lautsprecher, und Martin war nicht sicher, ob es Störungen waren oder ob es zur Musik gehörte.
    Der Tag nahm seinen Lauf. Dröhnend fuhren sie durch Ghazni und weiter nach Kandahar. Unterwegs machten sie Halt, um Tee zu trinken und zu essen – das übliche Ziegenfleisch mit Reis – und um zu tanken. Martin steuerte von seinem Bündel Afghanis etwas zu den Kosten bei, worauf der Belutschi noch freundlicher wurde.
    Martin sprach weder Urdu noch den Belutschidialekt, und der Mann aus Karachi konnte nur ein paar Worte Paschto, aber mit Hilfe von Gesten und ein wenig Koran-Arabisch verständigten sie sich gut.
    Nördlich von Kandahar hielten sie wieder an, um zu übernachten, denn der Belutschi wollte im Dunkeln nicht fahren. Sie waren jetzt in der Provinz Zabol, einem wilden Land, bevölkert von wilden Menschen. Es war sicherer, bei Tageslicht inmitten von Hunderten anderer Lastwagen zu fahren. Nachts würden Banditen unterwegs sein.
    Als sie die Ortschaften am Nordrand von Kandahar erreichten, behauptete Martin, er sei müde, und rollte sich auf der Bank hinter den Vordersitzen zusammen, die dem Belutschi als Koje diente. Kandahar war Hauptquartier und Festung der Taliban gewesen, und Martin wollte nicht, dass irgendein geläuterter Talib in einem vorbeifahrenden Lastwagen einen alten Freund zu erkennen glaubte.
    Südlich von Kandahar löste er den Belutschi am Steuer ab. Es war noch Nachmittag, als sie in Spin Boldak ankamen. Martin behauptete, er lebe am Nordrand der Stadt, verabschiedete sich dankbar von seinem Gastgeber und stieg ein paar Meilen vor der Grenzkontrolle aus.
    Weil der Belutschi kein Paschto verstand, hatte er die ganze Zeit einen Popsender laufen lassen und keine Nachrichten gehört. An der Grenze war die Warteschlange noch länger als sonst, und als er schließlich an die Schranke herangerollt war, zeigte man ihm ein Foto. Ein schwarzbärtiger Talib schaute ihn an.
    Er war ein ehrlicher, hart arbeitender Mann. Er wollte nach Hause zu seiner Frau und seinen vier Kindern. Das Leben war schon schwer genug. Warum sollte er Tage, vielleicht Wochen, in einem afghanischen Gefängnis verbringen und immer wieder beteuern, er habe keine Ahnung gehabt?
    »Beim Propheten, den habe ich noch nie gesehen«, schwor er, und sie ließen ihn durchfahren.
    Nie wieder, dachte er, als er auf der Straße nach Quetta südwärts weiterrumpelte. Vielleicht stammte er aus der korruptesten Stadt in ganz Asien, aber zumindest wusste man in seiner eigenen Heimatstadt, woran man war. Die Afghanen waren nicht sein Volk. Warum sollte man sich von ihnen in irgendetwas hineinziehen lassen? Er fragte sich, was der Talib verbrochen haben mochte.
    Martin war gewarnt worden: Die Entführung des Gefängnisbusses, die Ermordung zweier Gefängniswärter und die Flucht eines Rückkehrers aus Guantanamo Bay würden sich nicht vertuschen lassen. Als Erstes würde die amerikanische Botschaft Alarm schlagen.
    Der Schauplatz des »Mordes« war von einer Patrouille entdeckt worden, die man von Bagram heraufgeschickt hatte, als der Bus nicht im Gefängnis angekommen war. Dass er seine militärische Eskorte verloren hatte, war mit Inkompetenz erklärt worden. Aber die Befreiung des Gefangenen war eindeutig das Werk einer

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