Der Agent - The Invisible
erstaunlich, dass der CIA-Direktor genauso müde aussah wie seine engsten Mitarbeiter. Andrews saß hinter seinem schweren Schreibtisch, mit aufgekrempelten Ärmeln, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Er blickte über einen Stapel von Papieren, während er sprach, und als er Harper sah, zeigte er auf einen Stuhl. Ein paar Minuten später beendete er das Telefonat mit einer Reihe
von Anweisungen. Dann knallte er den Hörer auf die Gabel und schaute seinen Stellvertreter an.
»Also, wie sieht die Lage aus?«, fragte er, nervös mit den Fingern auf die Schreibtischplatte trommelnd. »Was ist in Pakistan los?«
Harper seufzte innerlich, während er darüber nachdachte, wo er beginnen sollte. Vor knapp sechs Stunden, um Viertel nach zwei morgens, hatte Kharmai ihn zu Hause angerufen. Als er wach genug war, um zu verstehen, was sie sagte, war er aus dem Bett gesprungen und in sein Büro gegangen, wo er die Fakten zu hören bekam. Die Lage schien ziemlich klar zu sein. Kealey hatte einem direkten Befehl zuwidergehandelt, als er statt mit Kharmai mit Pétain nach Islamabad geflogen war. Wenn er dorthin geflogen war, er konnte sonst wo sein. Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte er bisher noch keinen Kontakt zu Owen oder den anderen Mitgliedern des Teams aufgenommen.
Er informierte Andrews umfassend, was etwa fünf Minuten in Anspruch nahm. Während dieser Zeit sagte der Direktor kein Wort. Als Harper fertig war, fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht und blickte aus dem nach Westen gehenden Fenster.
»Warum hat Kealey noch keinen Kontakt aufgenommen?«, fragte er schließlich, seinen Stellvertreter anschauend.
Harper zuckte die Achseln. »Unmöglich, das mit Sicherheit zu sagen. Vielleicht hat er nach seiner Ankunft mit einer Observation begonnen, oder es hat Probleme gegeben, und er wartet aus Vorsicht. Es kann etliche Gründe geben.«
»Und warum hat er Kharmai in Spanien zurückgelassen und Pétain mitgenommen? Nach dem, was ich gelesen habe, scheint mir, Kharmai wäre für diesen Job geeigneter gewesen.«
»Die Einschätzung teile ich. Soweit ich es beurteilen kann, ist Pétain, unter Sicherheitsaspekten gesehen, bei dieser konkreten Operation eher eine Belastung als ein Positivum. Keine Ahnung, warum er sie mitgenommen hat.«
Andrews dachte einen Moment darüber nach und nickte dann. Harper war aufgefallen, dass der Direktor der CIA, seit er den Posten vor zweieinhalb Jahren übernommen hatte, bedeutend nachsichtiger geworden war. Es hatte eine Zeit gegeben, als er sich schnell abfällig über das mangelnde Tempo der Mitarbeiter und die endlose Informationsflut äußerte, doch im Laufe der Zeit hatte er gelernt, sein Temperament unter Kontrolle zu halten. Das hatte zwar letzten Endes keinen Einfluss auf die tägliche Routine, sorgte aber mit Sicherheit für eine entspanntere Arbeitsatmosphäre, zumindest unter normalen Umständen, von denen im Augenblick keine Rede sein konnte. Dass Amari Saifis Forderungen von den Medien verbreitet worden waren, machte alles nur schlimmer.
»Ich weiß einiges über ihren Vater, aber diese Pétain ist mir ein Rätsel«, sagte Andrews. »Es muss doch einen Grund geben, warum Kealey sie dabeihaben wollte … Klären Sie mich über die Frau auf.«
Die Frage kam nicht unerwartet, und Harper hatte sich die Zeit genommen, sich kundig zu machen. »Marissa Pétain wurde 1981 in Paris geboren, als zweite Tochter von Javier Machado und Elise Pétain. Ihr Vater war damals in unserer Botschaft, und Elise und ihre beiden Töchter blieben in Paris, als Machado 1984 nach Rabat geschickt wurde. Marissa besuchte von 1985 bis 1999 die American School of Paris. Seitdem beherrscht sie Deutsch, Italienisch und Russisch fließend, und ihren Eltern verdankt sie es, dass sie außerdem Englisch, Spanisch und Französisch spricht. Nach dem Abschluss der
Schule bekam sie einen Studienplatz an der Universität in Marquette. Als sie 1999 in die Staaten kam, war ihr Vater bereits im Ruhestand. Nachdem sie in Marquette einen Bachelor in Informatik gemacht hatte, legte sie an der University of North Carolina in Chapel Hill noch zwei Master in Mathematik und Psychologie drauf …«
Andrews runzelte die Stirn. »Sie erwähnten noch eine andere Tochter. Hat die nicht auch für uns gearbeitet?«
Harper seufzte erneut, diesmal laut. Dann erzählte er dem Direktor dieselbe Story, die Pétain vor zwei Tagen Kealey erzählt hatte. Als er fertig war, wirkte Andrews etwas
Weitere Kostenlose Bücher