Der Agent - The Invisible
Tonfall.
Kealey antwortete nicht sofort, ließ Ghafour aber keinen Moment aus den Augen. Der Algerier war nicht besonders groß, etwa eins siebzig, und wog bestimmt nicht mehr als siebzig Kilo. Von seiner körperlichen Statur her entsprach er nicht gerade einem Bauarbeiter, und das brachte Kealey auf einen anderen Gedanken. Hatte sein Arbeitgeber ihn nur wegen seiner
Nationalität eingestellt, oder war Ghafour wieder politisch aktiv? Unterhielt sein Boss gar selbst Verbindungen zur GIA? Der Mann hatte Geld und Beziehungen, und Ghafour hatte sich nie von den algerischen Extremisten distanziert. Plötzlich kehrten die Zweifel zurück, nur waren sie diesmal stärker. Vielleicht war es keine gute Idee, ihn einfach mit Geld kaufen zu wollen. Leider war es jetzt zu spät, um die Taktik zu ändern. Es blieb ihnen keine andere Wahl, als die Sache durchzuziehen und auf das Beste zu hoffen.
»Ich will nur Informationen«, sagte Kealey, aufmerksam die Miene des anderen studierend. Vielleicht blickte er in Richtung der Waffe. Die kleinste Augenbewegung konnte ihn verraten, was ihm bewusst sein musste. »Geld gegen Informationen, Ghafour … Ein faires Geschäft, glauben Sie’s mir … Sie waren sieben Jahre im Gefängnis, stimmt’s? In Algier?«
Ghafours Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. »Ja, aber das wussten Sie doch bereits, oder?« Plötzlich löste sich das Lächeln auf. »Wenn Sie nicht von der Polizei sind, woher kommen Sie dann? Vom MI5?«
»Nein.«
»Aus welchem Land sind Sie? Aus England? Den Vereinigten Staaten?« Ghafour wartete auf eine Antwort, doch als ihm klar wurde, dass es vergeblich war, grinste er breit. »Das ist es, Sie sind Amerikaner. Es ist so offensichtlich, wenn man weiß, worauf man achten muss … Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Wie heißen Sie?«
»Spielt keine Rolle.«
Hinter ihm trat Pétain nervös von einem Bein aufs andere. Sie murmelte etwas vor sich hin. Zuerst verstand er es nicht, die Klimaanlage war zu laut, doch dann wiederholte sie ihre Worte: »Hinter den Akten.«
Links neben dem Schreibtisch - von Ghafour aus gesehen rechts - waren bis in Hüfthöhe Aktenordner aufeinandergestapelt. Pétain konnte sehen, was dahinter lag, und es lief ihm kalt den Rücken hinab, als er begriff, was sie ihm sagen wollte. Ghafours Waffe war nur gut fünfzig Zentimeter von seiner rechten Hand entfernt.
»Um sich an dem Geld zu erfreuen, müssen Sie nicht wissen, wer wir sind«, sagte Kealey. »Ich will nur einen Namen. Wer hat Amari Saifi im Gefängnis besucht? Und seine Entlassung arrangiert?«
»Genau …« Ghafour tat so, als hätte er die Fragen nicht gehört. »Sie kommen mir sehr bekannt vor«, fuhr er langsam und leicht lispelnd fort. Dann zeigte er mit dem Finger auf Kealey. »Ich bin mir sicher, irgendwo habe ich Sie schon mal gesehen.«
Kealey lief es wieder kalt den Rücken hinab. Vielleicht lag es nur am abrupten Wechsel der Temperatur. Wie auch immer, Ghafours entspannte, sorglose Art machte ihn nervös. Pétain stand völlig reglos neben ihm, er konnte die Anspannung ihres Körpers fast spüren. Sie fühlte sich genauso unwohl wie er.
»Sie haben mich noch nie gesehen«, sagte er in einem etwas härteren Tonfall. Er bezweifelte, dass der Algerier auch nur die leiseste Ahnung hatte, wer er war. An diesem Morgen hatte er ein paar Strähnen seines Haares grau gefärbt, wodurch er mindestens zehn Jahre älter wirkte, und er trug ein p aar grün getönte Kontaktlinsen, was seine Augenfarbe änderte. Außerdem hatte er sich in den letzten drei Monaten einen dichten Bart wachsen lassen, der die untere Hälfte seines Gesichts verdeckte.
»Ich frage noch einmal, dann verschwinde ich mit dem Geld«, sagte er. »Wer hat Saifi im Gefängnis von Algier besucht?«
Ghafour wollte antworten, doch bevor er ein Wort herausbrachte, kam ein lautes Klopfen aus der Richtung der Stahltür. Kealey bekam nur teilweise mit, was dann geschah. Pétain zuckte zusammen, als sie das überraschende Geräusch hörte, und blickte blitzschnell nach links. Zugleich hob sie mit der rechten Hand den Saum ihrer weißen Baumwollbluse an. Es war eine reine Instinktreaktion, und der Griff ihrer Pistole war nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen, doch das genügte. Ghafours Hand verschwand hinter den Akten. Kealey warf jede Vorsicht über Bord. Er stürzte nach vorn und packte Ghafours Arm.
Ein Schuss löste sich, als er versuchte, Ghafour mit der Linken die Waffe aus der Hand zu schlagen. Mit
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