Der Agent - The Invisible
dieses Haus leisten konnte. In seinem Leben gab es nichts, das ihm mehr am Herzen gelegen hätte - bestimmt nicht seine Kinder, die er seit Jahren nicht gesehen hatte. Außerdem war das
Haus das Einzige, das ihn an seine Zeit in England erinnerte, an seine Liebe zur englischen Architektur. Als seine Familie seinerzeit nach Großbritannien auswanderte, war er fünfzehn. Vielleicht war es heute nicht leicht, es sich einzugestehen, doch es war die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen. Seit er lesen und schreiben konnte, hatte er sich danach gesehnt, Pakistan den Rücken zu kehren. Er wollte dem Schmutz von Saddar entkommen, wo er seine frühen Jahre verbracht hatte, und in einem anderen Land ein besseres Leben beginnen. Und er hatte hart gearbeitet, um das Beste aus der unerwarteten Chance zu machen. Statt sich über die abfälligen Bemerkungen seiner Klassenkameraden zu ärgern, die meistens seiner Hautfarbe galten, hatte er pausenlos gelernt, und sein Fleiß trug ihm im Alter von einundzwanzig einen Studienplatz an der St. George’s Medical School ein. Nach dem Abschluss hatte er fast ein Jahrzehnt lang im Guy’s Hospital im Südosten Londons gearbeitet, wo er sich auf Herzchirurgie spezialisierte. Trotz interner Konkurrenz vollzog sich sein beruflicher Aufstieg mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Es sah so aus, als könnte er einfach nichts falsch machen. Bis zu jenem Tag im Jahr 2004, an dem ihm bei einer Operation ein Fehler unterlief, den ein elfjähriger Junge mit dem Leben bezahlte.
Es war ein kleiner Fehler, ein versehentlich verletztes Blutgefäß, das sie zu spät bemerkt hatten, doch mehr brauchte es nicht. Seit diesem Vorfall war es nur noch bergab gegangen. Er hätte auf den Stress verweisen können, um seine Unaufmerksamkeit zu entschuldigen, auf die bevorstehende Scheidung, den unvermeidlichen Streit um das Sorgerecht für die drei Kinder, hätte so begründen können, dass nicht sein übermäßiger Alkoholkonsum in erster Linie für das Versagen verantwortlich war. Ein Disziplinarverfahren wäre unvermeidlich
gewesen, aber Trunksucht war weniger schlimm als Inkompetenz, und vielleicht hätte man ihm im Laufe der Zeit verziehen. Doch es stimmte nicht, und er gehörte nicht zu jenen, die zu Entschuldigungen Zuflucht nahmen. Stattdessen stellte er in aller Stille seinen Posten zur Verfügung - wenigstens diese Möglichkeit hatte man ihm gelassen - und zog einen Monat später an die Küste von Cornwall, wo er in einem kleinen Cottage am Stadtrand von Saint Ives lebte.
Dort hatte er versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Im Laufe der Jahre hatte er einiges gespart, eine logische Folge seiner in Armut verbrachten frühen Jahre, und obwohl ihn die Scheidung teuer zu stehen kam, hatte er noch genug Geld für einen Neubeginn. Aber es stellte sich, insbesondere für einen Ausländer, als fast unmöglich heraus, zu den Einwohnern von Cornwall ein befriedigendes menschliches Verhältnis herzustellen. Sie blieben lieber unter sich und schätzten keine Eindringlinge, die in ihrer Nähe leben wollten. Zwei Jahre lang hatte er versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen, aber seine ärztliche Praxis hatte einfach nicht genug Patienten. Irgendwann siegte die Verbitterung. Als er begriff, dass ihm nicht mehr daran gelegen war, die Sympathie seiner Umgebung zu gewinnen, wurde ihm klar, dass ihm nur die Rückkehr in seine alte Heimat blieb.
Das war im Sommer 2006 gewesen. Noch immer erinnerte er sich an das Gefühl persönlichen Versagens, das ihn übermannt hatte, als er in Islamabad aus der Maschine der British Airways stieg. Es kam ihm so vor, als hätte er seine beste - und vielleicht einzige - Chance in diesem Leben verspielt. Selbst heute noch, Jahre später, bereute er viele seiner Entscheidungen und Fehler zutiefst, aber er hatte damit zu leben gelernt. Er hatte das Haus aus Cornwall in seinem Heimatland nachgebaut,
doch ansonsten gehörte England der Vergangenheit an. Außerdem hätte das Leben in Pakistan schlechter sein können. An Patienten mangelte es in Sialkot nicht. Viele konnten sich die staatlich geführten Krankenhäuser nicht leisten, außerdem imponierte ihnen sein in England abgeschlossenes Medizinstudium. Sie schätzten sein nachsichtiges und gutmütiges Wesen genauso wie die moderaten Behandlungskosten, und auch er mochte seine Patienten. Manchmal fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, von vornherein in Pakistan zu bleiben.
Zumindest bis zu dem Tag, als er Benazir Mengal
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