Der Agent - The Invisible
kennenlernte. Im Gegensatz zu Naveed Jilani, dem er nie begegnet war, hatte sich Kureshi nicht darum bemüht, den General für sich zu gewinnen. Tatsächlich war es genau andersherum gewesen. Erstmals begegnet war er Mengal an einem warmen Herbstnachmittag im letzten Jahr. Der General hatte ihn durch einen seiner Männer im Café 24 an der Kashmir Road abholen lassen, wo er nachmittags seinen Tee trank. Zuerst hatte ihm die Geschichte Angst eingejagt, und er zögerte, sich von dem Mann mitnehmen zu lassen, ohne das Ziel der Autofahrt zu kennen. Aber es war unübersehbar, dass er keine andere Wahl hatte, und so stimmte er letztlich zu. Der Mann verband ihm die Augen und brachte ihn zu einer Wohnung, wo man ihn zu einem jungen Mann führte, offenbar einem Soldaten, der zwei Schussverletzungen am rechten Arm hatte. Es war nichts Ernstes - die beiden Kugeln steckten bereits nicht mehr in seinem Fleisch, und es war keine Arterie getroffen worden. Trotzdem war es nicht ganz einfach, ihm fehlten die richtigen Instrumente. Mengal sah die ganze Zeit über interessiert zu, und als er fertig war, gratulierte ihm der General. Dann schob er ihm einen Umschlag in die Jackentasche, den er erst öffnete, als er wieder in dem Café saß. Er enthielt hundertzwanzigtausend
Rupien, fast zweitausend amerikanische Dollar, und ein paar handschriftliche Worte von Mengal, der ihm herzlich für seine Dienste dankte.
Im Laufe der nächsten Monate rief Mengal noch zweimal an. In beiden Fällen konnte er helfen, und nach der zweiten Operation begann der General zu reden. Er erzählte, er habe in der nordwestlichen Grenzprovinz gedient, und spielte auch auf seine Tätigkeit für den ISI an. Als Kureshi über den unglücklichen Ausgang seiner Zeit in England sprach, zeigte Mengal Mitgefühl. Nach diesem Gespräch verdoppelte sich die Zahl seiner Patienten praktisch über Nacht. Er nahm an, dass der General, der jede Menge Leute kannte, ihn wärmstens empfohlen hatte. Wie auch immer, er war dankbar und ließ es Mengal bei ihrem nächsten Treffen wissen. Bei dieser Gelegenheit gelang es ihm nicht, das Leben des Patienten zu retten - er blutete einfach zu stark -, doch der General schien Verständnis dafür zu haben.
Nie fragte Kureshi, warum diese Männer nicht von Militärärzten behandelt wurden, zum Teil auch deshalb, weil die Antwort auf der Hand lag. Was immer diese taten - in Mengals Auftrag -, es hatte nichts mit der regulären Armee zu tun und war höchstwahrscheinlich ungesetzlich. Folglich hielt er den Mund, und die geschäftliche Beziehung zu Mengal blühte und gedieh.
Seit einer Stunde war es dunkel. Ein scharfer Wind pfiff aus Richtung des Vorgebirges, ließ die jungen Bäume vor dem Haus schwanken und rüttelte an den soliden Fenstern im Erdgeschoss. Said Kureshi, dessen Silhouette in dem trüben Licht, das aus dem Flur kam, kaum zu erkennen war, stand vor einem Waschbecken und reinigte unter dem heißen Wasserstrahl
ein Skalpell, das er zwischen den Fingern drehte, damit die Klinge auf beiden Seiten sauber wurde. Er sah das Blut im Abfluss verschwinden, ohne es wirklich zu sehen, und hörte auch nicht die lauten Stimmen aus dem Nachbarzimmer. Seine Gedanken waren bei dem chirurgischen Eingriff, den er gerade vorgenommen hatte. Oder, um es genauer zu sagen, bei der Frau, die er behandelt hatte.
Kurz nachdem er den letzten Patienten des Tages verabschiedet hatte, waren Mengals Männer eingetroffen. Von dem Augenblick an, als er ihnen die Tür öffnete, ahnte Kureshi, welche Patientin sie brachten. Im Fernsehen war immer wieder über den Vorfall berichtet worden, doch es waren ihre Blicke, die alles sagten. Sie kündeten von blanker Verzweiflung, und als er die Decke zurückzog, um das Gesicht der Frau zu sehen, konnte er sie verstehen …
Er legte das Skalpell auf die sterile Watte und griff nach einer Gefäßklemme. Als er sie unter das heiße Wasser hielt, bemerkte er, dass seine Hand zitterte. Es war eine verzögerte Reaktion. Im entscheidenden Moment, und darauf war er stolz, hatte er eine ruhige Hand gehabt, obwohl ihm bewusst war, was auf dem Spiel stand. Wäre die Frau auf seinem Operationstisch verblutet oder aus einem anderen Grund gestorben, hätte man ihm die Schuld gegeben. In diesem Fall wäre Mengals Zorn nichts gewesen gegen den der Amerikaner, falls diese von seinem Eingriff erfahren würden. Dann hätte er genauso gut selbst den Anschlag verüben können. Und doch, er hatte die ganze Zeit über stoische Ruhe
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