Der Agent
oben. Er und das Seil bewegten sich einen guten Meter aufwärts, bis die Kerbe auf gleicher Höhe mit seinen Füßen war.
Bevor er begreifen konnte, was da geschah, bewegte sich das Seil mit ihm weiter. Jemand über ihm zog das Seil mit ihm hinauf, zog ihn zum Rand der Klippe herauf und in Sicherheit.
Der Gedanke kam ihn, daß vielleicht der Bergläufer oben am Rand der Klippe auf ihn gewartet hatte und ihn nun heraufzog. Bill blickte nach oben und erwartete, dort das dunkle, pelzige Gesicht des dilbianischen Postboten zu sehen. Aber es war nicht der Bergläufer, den er sah.
Statt dessen starrte er in das buddhaähnliche Antlitz von Mula-ay. Und es waren die Hände des Hemnoiden, die das Seil mühelos heraufzogen. Ein Lächeln puren Vergnügens lag auf Mula-ays Gesicht, während Bill, hilflos wie ein Fisch am Angelhaken, heraufgezogen wurde – geradewegs in die Hände seines Feindes.
Wenn der Schreck auch groß war, so überwog im Augenblick bei Bill jedoch die Aussicht, von der Felswand weg und über den Rand der Klippe auf festen Boden zu gelangen, gleichgültig, mit wessen Hilfe. Er klammerte sich an das Seil und ließ sich hochziehen, bis er endlich über den Rand der Kerbe gezerrt wurde und vollkommen erschöpft auf dem weichen Boden oberhalb der vertikalen Felswand liegenblieb.
Eine Weile lag er einfach da, zu schwach, um sich zu bewegen. Seine Arme und Beine zitterten von der überstandenen Anstrengung. Dann ließ er schließlich das Seil los und kam mühsam auf die Füße.
Direkt vor ihm und keine zwei Meter entfernt, stand Mula-ay, die Arme über seiner Brust gefaltet und die Hände in den weiten Ärmeln seiner gelben Robe verborgen, und lächelte zufrieden.
„Nun, mein junger Freund“, sagte er und lachte ölig, „was machen Sie denn hier um diese Nachtzeit?“
Bill hatte Zeit gehabt, sich zu sammeln. Auch jetzt jagten sich die Gedanken in seinem Kopf, wie bei seiner Begegnung mit Knochenbrecher.
„Nun, ich habe nur eine kleine Kletterpartie unternommen – eine sportliche Übung sozusagen“, antwortete Bill, immer noch etwas keuchend, obgleich er sich bemühte, gelassen zu erscheinen. „Und was tun Sie hier?“
Mula-ay lachte wieder. „Nun, darauf könnte ich natürlich auch mit einer Unwahrheit antworten, genau wie Sie, mein junger Freund, und sagen, daß ich nur einen kleinen Mondscheinspaziergang gemacht habe. Aber ich bin stets aufrichtig – vor allem, wenn die Wahrheit schmerzt –, und deshalb werde ich Ihnen die Wahrheit sagen. Ich war auf der Suche nach Ihnen, und siehe da, ich habe Sie gefunden.“
„Sie haben mich gesucht?“ fragte Bill. „Wie kamen Sie auf die Idee, daß Sie mich hier finden könnten? Und nicht nur hier, sondern vor allem auch um diese Nachtzeit?“
„Ich dachte mir, daß Sie wahrscheinlich sehr bald den Wunsch verspüren würden, Ihrer Mitarbeiterin unten im Tal einen Besuch abzustatten“, antwortete Mula-ay glucksend. „Und ich hatte recht.“
Bill musterte das runde Mondgesicht scharf. „Vielleicht haben Sie erwartet, daß ich versuchen würde, ins Tal zu gelangen, um Miß Lyme zu sprechen“, sagte er, „aber woher sollten Sie wohl wissen, daß ich versuchen würde, die Felsen hinunterzuklettern? Und woher wußten Sie wohl, welche der Felswände ich aussuchen würde?“ Sein Blick wurde noch schärfer. „Sie haben ein Roboter-Warnsystem um dieses Tal herum errichtet, nicht wahr? Und das ist eine Verletzung des Abkommens!“ Er deutete mit seinem Finger auf Mula-ay. „Sobald ich das melde, wird Ihren Vorgesetzten gar nichts anderes übrigbleiben, als Sie von Ihrem Posten hier auf Dilbia abzuberufen!“
„Wenn Sie es melden, nicht wahr, mein junger Freund?“ murmelte Mula-ay unbeeindruckt. „Ich meine mich zu erinnern, daß es Ihnen unmöglich ist, Ihre außerplanetaren Vorgesetzten zu erreichen. Und wenn es Ihnen doch gelänge, würde Ihr Wort gegen meines stehen.“
„Das glaube ich nicht“, erwiderte Bill grimmig. „Jedes leistungsfähige Warnsystem verbraucht Energie, und mit einem guten Detektorgerät, könnte man Energieverbrauch in diesem Gebiet aufspüren, vor allem, wenn man genau weiß, wo man danach suchen muß.“
„Und wenn schon!“ Mula-ay zuckte die Schultern. „Es bleibt die Frage, ob Sie es melden werden.“
Diese letzten Worte waren in dem gleichen, leichten Ton dahingesagt, den Mula-ay von Anfang an angeschlagen hatte, aber plötzlich wurde es Bill ganz kalt ums Herz.
Diese abgelegene Stelle am Rand der Klippe,
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