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Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Frankel
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gewesen, weil ihr durch die Krankheit ihrer Schwester so viel entging: Sie hatte keine Babyparty veranstaltet, Eleanor nicht von Babygeschäft zu Babygeschäft gezerrt, wie diese es damals bei ihr gemacht hatte, und keine langen, geruhsamen Nachmittage bei Eleanor auf der Couch verbracht, um sich von ihr die Füße massieren und Bananen-Smoothies bringen zu lassen. Das alles stand ihr zu, schließlich hatte sie ihre Schwester bereits durch zwei Schwangerschaften begleitet. Natürlich war sie auch außer sich, weil Eleanor nie wieder in den Genuss dieser und aller anderen Dinge kommen würde, aber sie fühlte sich trotzdem ungerecht behandelt. Im Moment war sie außer sich, weil sie ihre Schwester unendlich vermisste, und deshalb war sie hier. Und das, obwohl es hundertmal einfacher gewesen wäre, zu Hause zu bleiben, statt alles einzupacken, was Oliver unter Umständen brauchte, wenn sie sich mehr als fünf Meter von der Wohnung entfernten. Zumal sie den immer riesiger werdenden Oliver ständig mit sich herumschleppen musste, weil er mit sechzehn Monaten immer noch nicht laufen konnte.
    Josh Annapist kannte Emmy und David aus einer Selbsthilfegruppe, die jeden Mittwochnachmittag in der St.-Giles-Klinik zusammenkam und die er sowohl allein als auch mit Noel Taylor besucht hatte. Er und Noel waren über Jahre hinweg immer wieder auf Behandlungen angewiesen gewesen, oft gemeinsam, manchmal auch einzeln. Sie hatten sich im Krankenhaus kennengelernt. Beiden war es irgendwann besser gegangen, aber nur bei Josh war es so geblieben. Sie hatten viel gemeinsam: das ungewöhnliche Hobby, trotz eisiger Wassertemperaturen und schlechter Sicht im Puget Sound zu tauchen, das Vertrauen in die heilende Wirkung von Yoga, einen großen, liebevollen Freundes- und Familienkreis, der nie wirklich verstehen konnte, was sie durchmachten. Und Leukämie, obwohl sie erst Mitte zwanzig waren. Jetzt, wo es Noel nicht mehr gab, fühlte sich Josh trotz all seiner Freunde und Familienmitglieder mutterseelenallein.
    Bevor Davids Kunden in den Salon gekommen waren, hatten fast alle Projektionen lebendig und gesund ausgesehen, weil sie im kranken Zustand nicht viel online kommuniziert hatten. Einige, weil sie zu plötzlich gestorben waren, andere, weil sie kurz vor ihrem Tod keine Zeit an eine vermeintlich unwichtige Tätigkeit vergeuden wollten. Die Angehörigen von Davids Kunden waren langsam und über Jahre hinweg gestorben, also war ihr Sterben auch online dokumentiert. Während es ihnen langsam und stetig immer elender gegangen war, hatten sie E-Mails und SMS geschrieben, waren auf Facebook aktiv gewesen und hatten Video-Chats geführt. Noel Taylor beispielsweise sah auf dem Bildschirm aus wie eine Leiche.
    »Hallo«, meldete er sich ein wenig atemlos, als Josh ihn das erste Mal anrief. »Du siehst super aus. Hast du heute einen guten Tag?«
    »Ja, ich glaube schon«, sagte Josh.
    »Wirkt das Thalidomid endlich?«
    »Vielleicht liegt es auch am zusätzlichen Prednison.«
    »Was sagt dein Bilirubin-Wert?«
    »Drei. Abnehmend.«
    »Cool«, sagte Noel anerkennend. »Vielleicht bewirkt dein komische r Muttermilch-Cocktail ja doch was.« Joshs Akupunkteurin hatte ihm erzählt, dass die in Muttermilch enthaltenen Antikörper möglicherweise auch die T-Zellen angriffen, die für die Abstoßungsreaktion seines Körpers auf eine kürzlich erfolgte Knochenmarktransplantation verantwortlich waren. Diese hatte ihm eigentlich das Leben retten sollen, verursachte aber bisher nur Probleme. Josh hatte daher seine Nachbarin überredet, alle paar Tage ein paar zusätzliche Milliliter für ihn abzupumpen, wenn er dafür die Gartenarbeit erledigte, für die sie mit ihrem Neugeborenen keine Zeit mehr hatte. Die Muttermilch füllte er zusammen mit Honig, rohem Knoblauch, Bierhefe und Rosmarin in einen Mixer und trank das Gebräu dann. Noel hatte immer gesagt, das sei es nicht wert, er ziehe den Tod vor, und auch Josh war insgeheim klar, dass es wahrscheinlich nicht diese Mixtur war, die seine Besserung hervorgerufen hatte. Er war bei dieser Aussage von Noel regelmäßig zusammengezuckt, weil ihm klar war, dass er damit eigentlich meinte: »Mach dir keine Hoffnungen. Mir ist jetzt schon schlecht, und ich bin völlig erschöpft, weil ich ständig abgetastet werde und Spritzen bekomme und mit Flüssigkeiten gefüllt und wieder leergepumpt werde, weil man mir Versprechungen macht und mich anlügt, weil ich mich an meinen Optimismus klammere und trotzdem mein Testament

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