Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
und für mich arbeiten«, bot Sam an.
»Und was mache ich dann? Mit Merediths Oma quasseln?«
»Und kochen.«
»Ich glaube nicht, dass ich für dich arbeiten möchte. Nicht, nachdem du gerade zum soundsovielten Mal mein Leben zerstört hast.«
»Du kannst ja drüber nachdenken«, sagte Sam.
»Wie ist die Bezahlung?«
»Was für eine Bezahlung?«
»Und noch was«, sagte Jamie und zeigte mit einem Pommes frites auf Meredith. »Hört auf, euch während der Meetings E-Mails und SMS zu schreiben. Meredith ist meine einzige Verbündete in der Marketingabteilung. Ich brauche ihre volle Aufmerksamkeit.«
»Ich bin doch aufmerksam«, widersprach Meredith mit Unschuldsmiene.
»Außer dir lächelt aber niemand während der Meetings in seinen Sc hoß. Ich hab euch beide im Visier. Mit dem neuen Boss ist nicht zu spaßen.« Dann überlegte er einen Moment und fügte hinzu: »Ihr könntet mich wenigstens in cc setzen. Marketing-Meetings ziehen sich endlos. Diese verdammten Stühle sorgen dafür, dass die Leute langatmig werden. Da könnte ich zwischendurch was zum Lachen gebrauchen.«
»Heute hat sie Fotos von meinen Kronjuwelen verlangt«, sagte Sam.
»Wie oft soll ich es euch noch sagen?«, fragte Jamie. »Keine SMS während der Meetings!«
Für Jamie mochte es ein Rückschritt sein, dass er jetzt Merediths Chef war, aber für Meredith war es ein gewaltiger Fortschritt. Ihr alter Chef war, nun ja, alt gewesen – schwerfällig, langweilig, altmodisch und völlig ahnungslos, was Technik anging. Er hatte sich oft damit gebrüstet, seine Frau noch ganz traditionell bei einem Erntedankfest kennengelernt zu haben, wie es sich für die wahre Liebe gehöre, und nicht durch diese neumodische Technik. Meredith hatte nur eine dunkle Vorstellung davon, was ein Erntedankfest war, war sich aber sicher, dass der Marketingleiter einer Online-Partneragentur wenigstens ein bisschen Gespür für Technik und das Internet haben sollte. Jamie hingegen war witzig, technisch versiert und – sobald er sich einmal an den Gedanken gewöhnt hatte – begeistert von seinen neuen Kolleginnen in der Marketingabteilung. Meredith arbeitete jetzt häufig länger, ging nach der Arbeit noch etwas trinken und schrieb seltener anstößige SMS und E-Mails aus Meetings.
Das freute Sam. Es freute ihn, dass sie glücklich war, dass sie wieder positiver in die Zukunft blickte, dass sie langsam Fuß fasste – neuer Freund, neuer Chef, neue Arbeit, neue Wohnung, neues Leben ohne Livvie. Und es freute ihn nach wie vor, dass er arbeitslos war. Sam war in einem Haus aufgewachsen, in dem nicht nur er, sondern auch sein Vater nach dem akademischen Kalender gelebt hatte, daher war er Arbeiten im Fünfzehn-Wochen-Zyklus und lange und häufige Ferien gewöhnt. Für ihn war es ganz normal, dass man sich ein paar Monate im Jahr freinahm und an eigenen Projekten arbeitete, bei voller Bezahlung versteht sich. Für Sam waren Forschungsfreisemester das Beste an einem akademischen Beruf, und so freute sich sein Professorensohn-Herz darüber, dass er nun Zeit für sich hatte. Eine Abfindung war zwar nicht dasselbe wie ein monatliches Gehalt, aber andererseits verdiente man als Lehrer oder Professor nicht so viel wie als Softwareentwickler, daher glich es sich letzten Endes wieder aus. Er brauchte einfach Zeit für sich. Und er hatte ein Projekt.
Er hatte Nein gesagt zu Meredith und es auch so gemeint. Er glaubte nicht, dass Video-Chats möglich war en, aber selbst wenn sie möglich gewesen wären, hätte er das Ganze für keine gute Idee gehalten. Er hatte also Nein gesagt, bastelte aber trotzdem ein kleines bisschen daran herum. Weil es ihn interessierte. Weil er neugierig war. Es konnte ja nicht schaden, ein wenig herumzuspielen, einfach nur um es auszuprobieren, aus Neugier und Spaß. Also sammelte er so viele Daten wie möglich, die allerdings völlig ungeordnet waren: ein Satz hier, ein Zwinkern dort, ein Lachen, ein Niesen. Er schrieb ein Skript, das seine Fundstücke ordnete und zusammensetzte, aber das Ergebnis war ein Puzzle, bei dem die meisten Teile fehlten. Er hatte nicht annähernd genug Material. Livvie würde sich drei oder vier Wörter lang anhören wie Livvie und dann wie der primitive Sprachcomputer, mit dem Sam als Fünfjähriger buchstabieren geübt hatte. Sie würde erst aussehen wie sie selbst, dann abgehackte, stockende Bewegungen machen und schließlich erstarren. Sie würde erst wie Livvie lachen und dann wie Livvie ohne Ton und dann so abrupt und
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