Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
haben.«
» Mich können sie ganz schön nerven! «, antwortete sie.
»Sie lieben dich sehr. Und sie lieben sich gegenseitig sehr. Es ist schön, das zu beobachten.«
»Nein, es ist abstoßend«, widersprach sie.
»Ist es nicht!«
»Das ist ihr Vorspiel, sonst nichts.«
»Du hast recht. Es ist abstoßend«, gab ihr Sam recht.
Am nächsten Morgen zauberten Meredith und ihr Vater aus den Resten einen Brunch – Rührei mit Käse, Süßkartoffeln, Roter Bete, Truthahn und Kartoffeln. Offenbar war das Familientradition, aber Sam verfütterte den Großteil seiner Portion an die Hunde unterm Tisch (sogar die schienen skeptisch zu sein). Nach dem Brunch gingen sie im Washington Park Arboretum spazieren. Die Stadt war voll mit Leuten, die Einkäufe machten, und in Livvies Wohngebäude schwirrten überall Verwandte auf Besuch herum, a ber am See war es ruhig und leer. Zwar hatte es sich eingeregnet und war recht kühl, aber Kyle und Julia hatten Meredith auf einer Insel großgezogen, und so waren alle an raues Wetter gewöhnt. Nur Sam fror erbärmlich und war nass bis auf die Knochen. Kyle und Julia schoben sich gegenseitig die Hände in die Gesäßtaschen, und Sam klemmte sich seine unter die Achseln. Meredith versuchte gerade, die Hunde zusammenzurufen, als Julia plötzlich stehen blieb, sich zu ihrer Tochter umdrehte und fragte: »Wie haben wir dich verkorkst?«
»Was?«
»Wie haben wir dich verkorkst? Als Mensch? Sag schon, wir können die Wahrheit vertragen.«
»Durch solche Gespräche zum Beispiel? «
»Ich meine es ernst«, sagte Julia, die wirklich ein ernstes Gesicht machte, obw ohl ihre Frage keinen Sinn zu ergeben schien. »Ich kann dir genau sagen, wie meine Eltern mich verkorkst haben. Für Grandpa war Töpfern nie ein achtbarer Beruf und schon gar keine Kunst. Er hat Kyle und mir unseren Lebensstil nie verziehen. Auch nicht, dass wir dich ›in der Wildnis‹ großgezogen haben, wie er es nannte, so als hätten wir dich den Wölfen überlassen oder so etwas. Und Oma … Du weißt, wie nah wir uns immer standen, aber guck dir das alles an.« Sie wies mit der Hand auf die triefenden Bäume, den Schlamm, den grauen See, der mit dem grauen Himmel verschwamm, die zu Brei gestampften Herbstblätter.
»Was soll ich mir angucken ?«, fragte Meredith.
»Das ist doch hinreißend! Die Natur. Riech doch nur die Luft.« Sam schnupperte. Irgendetwas verrottete in der Nähe. Aber er verstand, was sie meinte. So verregnet und grau und kalt es hier auch war, es war wirklich hinreißend. Die Erinnerung an die Berge hinter all dem Nebel, auch wenn sie sie monatelang nicht mehr zu Gesicht bekämen, gab ihm Kraft, wenn er seine großen Laufrunden drehte. Ein Reiher hob mit einer Langsamkeit, die an Tai-Chi erinnerte, ein Bein, stellte es vor dem Baumstamm ab, über den er gerade stieg , verharrte dann unbeweglich wie eine Statue, um sich zu vergewissern, dass keine Gefahr drohte, bevor er das andere Bein anzog und nachfolgen ließ. Julia hatte recht. Es war wunderschön.
»Und inwiefern ist das Omas Schuld?«, fragte Meredith.
» Das Arboretum liegt nur fünf Kilometer von ihrer Wohnung entfernt, und während meiner ganzen Kindheit und Jugend war sie nicht einmal mit mir hier«, erklärte Julia. »Wenn mein Kunstlehrer aus der Highschool nicht mit uns hergekommen wäre, damit wir Blätter, Gräser und Erde zeichnen konnten, damit wir sitzen und atmen und einfach sein konnten, hätte ich nie von der Existenz dieses Parks erfahren. Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, wäre ich auch nie Künstlerin geworden. Ich hätte nie die Stadt verlassen, sondern wäre ein paar Türen weitergezogen und hätte einen Buchhalter geheiratet. Daher frage ich dich: Wie haben wir dich verkorkst?«
»Na ja, ich hätte ganz gerne ein paar Türen weiter von Oma gewohnt«, versuchte es Meredith auf die scherzhafte Tour. »Mit meinem reichen Buchhaltervater. Nichts gegen dich, Dad.«
»Schon gut, Schatz.« Kyle sah genauso aus, wie Sam sich fühlte – irritiert, aber auch fasziniert und gleichzeitig bemüht, beides zu unterdrücken, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.
»Außerdem sorgt ihr gerade dafür , dass mein Freund hier draußen elendig erfriert«, fügte Meredith hinzu. »Lasst uns zurück zum Auto gehen.«
»Alle Eltern verkorksen ihre Kinder auf die eine oder andere Weise. Ich will es einfach nur wissen«, sagte Julia leise.
»Wie kommst du denn jetzt auf dieses Thema?«, fragte Meredith.
Julia zuckte mit den
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