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Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Frankel
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ein. Als er am nächsten Morgen wieder vor der Tür stand, war alles bereit. Meredith bot ihm eine Ecke an, in der er ganz für sich sein konnte, aber er schien lieber nicht allein sein zu wollen. Ohnehin vergaß er innerhalb von Sekunden, dass noch andere Personen anwesend waren. Er setzte sich an einen Computer am Fenster und stürzte sich kopfüber in einen Video-Chat. Nachdem es ein paarmal geklingelt hatte, ging ein Fenster auf dem Bildschirm auf, aus dem Miguel Antigua seinem am Boden zerstörten und vor Staunen sprachlosen Bruder fröhlich entgegenlächelte.
    »¡ Mi hermano!«, begrüßte ihn Miguel grinsend. » ¡ Buenos días! Wie schön, dich zu sehen! «
    Aber Eduardo schluchzte nur und war unfähig, etwas zu sagen. Sam fühlte sich an das erste Gespräch zwischen Dash und Nicht-Sam erinnert und erkannte zu spät, dass trauernde Menschen erst recht ein Konzept brauchen.
    »Eduardo! ¿Qué pasa? Was ist los? Was ist passiert?«
    »Du! Du bist es«, sagte Eduardo schluchzend.
    »Natürlich bin ich es. Wo liegt das Problem?«
    »Nein, du bist es. Du bist das Problem. Du bist gestorben, Miguel.«
    »Was bin ich?«
    »Gestorben.«
    »Was meinst du damit, dass ich gestorben bin?«
    »Du b ist gestorben. Als du Samstagnacht nach Hause gefahren bist, hat irgend so ein zugedröhntes, betrunkenes Arschloch die Spur gewechselt und ist direkt in dich reingerast. Sie haben dich mit dem Hubschrauber ins Harborview Medical Center gebracht und mich noch auf dem Weg dorthin angerufen – du hast doch diese Karte in deiner Brieftasche. Keine paar Minuten später war ich bei dir und habe deine Hand gehalten. Erinnerst du dich? Du hast mir zugeflüstert, dass du mich liebst und Marion auch und Diego, und dass ich Mama ausrichten soll, dass … Aber ich habe nicht verstanden, was ich ihr ausrichten soll. Erinnerst du dich? Ich habe es nicht verstanden, und dann warst du tot. Du erinnerst dich also nicht mehr?«
    Wie hätte sich die Projektion daran erinnern sollen? Miguel war gestorben, bevor er auch nur eine Twitter-Nachricht hatte absetzen können. Es folgte eine lange Pause. Dann heiterte sich Miguels Gesicht auf. »Das ist ein Witz, oder?«
    »No, Miguel, mi muchacho.«
    »Übst du für ein Vorsprechen?«
    »Nein, Miguel. Es tut mir so leid.«
    »Was tut dir leid?«
    »Dass ich dich nicht retten konnte. Und nicht verstanden habe, was du gesagt hast.«
    »Ich bin nicht gestorben. Mir ge ht’s gut, Mann. Siehst du?« Miguel winkte erst mit der rechten Hand in die Kamera, dann mit der linken, bevor er die Zunge herausstreckte und schließlich mit dem rechten Auge direkt in die Kamera blickte. »Gesund und munter. Bei dir alles in Ordnung?«
    »Mir geht’s gut«, antwortete Eduardo traurig und resigniert. Er wirkte noch unglücklicher als vorher.
    »Hör mal, ich muss los. Ich komme zu spät zur Arbeit.«
    »Nein, Miguel, geh noch nicht!«
    »Bleib locker. Ich ruf dich heute Abend an.«
    »Ist gut« , sagte Eduardo leise. Und fügte dann hinzu: »Miguel? Ich liebe dich. Te amo, mi hermano.«
    »Ist ja gut«, beschwichtigte ihn Miguel. »Ich dich auch. Aber jetzt muss ich wirklich los. Bis bald!«
    »Tut mir leid, Miguel«, stöhnte Eduardo noch einmal. »Tut mir so leid.«
    »Schon gut«, antwortete Miguel. Sein Blick hatte sich verä ndert und wirkte abwesend. »Du hast es ja nur gut gemeint. Ich vergebe dir.«
    Eduardo sank auf seinem Stuhl zusammen und sah aus, als wäre jegliche Luft aus ihm entwichen. Sam ließ ihn einen Moment in Ruhe und dachte: Scheiße. Da hatten sie so viel Zeit, Aufwand und Geld investiert und überstanden nur einen einzigen Kunden. Das war es dann wohl gewesen. Sie würden nie wieder eine zweite Chance bekommen. Eduardo hatte seine Projektion kaputtgemacht. Bestimmt erholte sie sich nicht wieder von der Mitteilung, dass sie tot war. Wahrscheinlich hatte sie deshalb am Ende den Faden verloren. Sam hatte keine Ahnung, wofür sich Eduardo immer wieder entschuldigte, und er wusste auch nicht, wie jemand, der davon überzeugt war, dass er lebte, auf die Nachricht seines eigenen Todes reagierte. Aber er wusste, dass »Schon gut. Du hast es ja nur gut gemeint. Ich vergebe dir« keine adäquate Reaktion war. Eduardo sah aus, als hätte er einen widerlichen Geschmack auf der Zunge. Das Gespräch mit seinem Bruder war weder befreiend für ihn gewesen noch tröstend oder lindernd. Es war also eher unwahrscheinlich, dass er die Mund-zu-Mund-Propaganda für RePrise ankurbelte, sobald er die Geschäftsräume

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