Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Frankel
Vom Netzwerk:
liebten und auf intime Weise miteinander kommunizierten. Sie verstanden instinktiv, was der andere meinte und reagierten auf Dinge, die ihnen nicht einmal bewusst waren. Die Projektionen nannten die User petit chou , was sie nur taten, wenn derjenige gerade sehr, sehr verletzlich war, oder Tarzan, was sie nur sagten, wenn derjenige gerade ganz dringend eine Aufmunterung brauchte. Sie ließen sich dazu bewegen, dem anderen ein weiteres Mal zu sagen, wie sehr sie ihn liebten, obwohl sie das gerade erst getan hatten, sie erklärten ihm, dass sie stolz auf ihn seien, an ihn dächten , für ihn beteten, in ihn vernarrt seien und überglücklich, dass es ihn gebe. Kurzum, die Projektionen sagten ihren Hinterbliebenen erstaunlicherweise genau das, was diese hören wollte n und wonach sie unbewusst verlangt hatten. Das Ganze war ein Tanz, in dem beide Partner sehr geübt waren, was natürlich auch schon im echten Leben gegolten hatte.
    Meredith wiederum behielt recht damit, dass sie Geschäftsräume brauchten. Obwohl die Kunden RePrise überall verwenden konnten, wo sie eine Netzwerkverbindung hatten, zogen viele von ihnen zumindest am Anfang den Salon vor, und zwar genau aus den Gründen, die Meredith vorhergesehen hatte. Die Leute hatten tatsächlich Angst vor Geistern. Sie wollten, dass man ihnen die Hand hielt, ihnen beim Verfassen der ersten E-Mails und Antworten half, ihnen Tipps gab, was sie sagen und wie sie es am besten ausdrücken sollten. Sie brauchten Unterstützung bei der fast unmöglichen Aufgabe, ihren Projektionen nichts von deren Ableben zu erz ählen. Schon die Anwesenheit einer weiteren Person genügte oft, sie davon abzuhalten, zum Beispiel, weil sie beim Aufblicken von ihrem Computer Sams strenges Gesicht vor sich sahen, das Gesicht jenes Mannes, der ihnen gerade geduldig erklärt hatte, warum man der Projektion nicht sagen durfte, dass sie tot war. Manchmal tat aber auch die Gruppendynamik ihre Wirkung: Wenn die Kunden, die rechts und links von einem saßen, mit ihren Projektionen über andere Themen sprechen konnten, musste man selbst das doch auch hinbekommen. Aber hauptsächlich lag es wohl an der neutralen Umgebung des Salons Styx, dass die Kunden am liebsten hier mit ihren Angehörigen kommunizierten. RePrise funktionierte auf Basis gemeinsamer Erinnerungen, aber diese Erinnerungen hatten nicht hier stattgefunden, in diesem hellen Raum mit Blick auf die Berge und das Meer, in dem Dash, Meredith und Sam wohlwollend den Blick über ihr Werk, ihr Eden, schweifen ließen. Viele Kunden brauchten genau diese Distanz, weil sich die Kommunikation mit ihren Verstorbenen sonst zu echt anfühlte, zu sehr wie damals, weil es sonst zu frustrierend war, dass sie mit ihnen nur online kommunizieren konnten, dass sie sich nie wieder mit ihnen zum Kaffee treffen oder mit ihnen im Bett liegen konnten, dass sie nie wieder aus dem College oder aus Florida zurückkehren würden.
    Auch für Sam und Dash war die Arbeit im Salon schwierig, aber vor allem für Meredith. Genau wie sie es sich gewünscht hatte, hatten die Kunden ein Bedürfnis, das sie erfüllen konnte, aber diese Leistung erforderte vollen Einsatz und war ein Fass ohne Boden. Oft waren die Kunden schon bei der Anmeldung – der Einführung, Bezahlung, Unterschrift und Angabe ihrer Daten – in Tränen aufgelöst und brachen vollends zusammen, wenn endlich alles bereit war und sie anfangen konnten. Oft kamen sie tagelang jeden Morgen in den Salon, setzten sich an den Computer und gingen dann unverrichteter Dinge wieder, bis sie endlich den nötigen Mut aufbrachten. Dann hielt Meredith ihre Hand, bot ihnen ihre tröstende Schulter zum Ausweinen an, setzte sich zu ihnen und hörte ihnen stundenlang zu, während sie in Erinnerungen schwelgten. Sie versorgte sie mit Taschentüchern. Versicherte ihnen, dass jeder sich beim ersten Mal schwertat und sie es am nächsten Tag erneut versuchen konnten. Versprach ihnen, dass es nach dem ersten Mal leichter wurde. Das Ergebnis war, dass auch Meredith jetzt oft traurig und in Tränen aufgelöst war.
    »Das ist nicht deine Aufgabe«, ermahnte Sam sie besorgt.
    »Natürlich ist das meine Aufgabe«, widersprach sie.
    Sam dagegen verfolgte einen anderen Ansatz und bemühte sich um Entmystifizierung. Es gab keinerlei Grund, durchzudrehen und sich aufzuregen. Es war alles nur ein Computerprogramm, ein Haufen Elektronen. Diese Geister waren nicht echter als die in einem Computerspiel. Es war alles nur eine Illusion. Eine

Weitere Kostenlose Bücher