Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
zu sprechen. Irgendwann stellte ihr Jason Peterman die wichtigste Frage von allen: »Erzählen Sie mir doch bitte von Sam Elling. Wie ist er so? Und wie ist er auf diese einzigartige Idee gekommen?« Diese Frage hätte ihm niemand besser beantworten können als Meredith, und es gab auch nichts, worüber sie lieber sprach. Das Interview zog sich eine weitere Stunde in die Länge.
»Zunächst einmal is t er absolut brillant. ›Geht nicht‹ gibt es für ihn nicht, höchstens ›das hat noch nie einer probiert‹. Er ist der geborene Problemlöser. Als meine Großmutter gestorben ist, war er furchtbar traurig, weil ich so gelitten habe. Alle anderen haben gesagt ›Tut mir leid für dich‹ oder ›Das ist wirklich traurig‹ oder ›Ich weiß noch ganz genau, wie das war, als meine Großmutter gestorben ist‹. Sam hat das alles auch gesagt, aber darüber hinaus hat er etwas absolut Einmaliges von sich gegeben, nämlich: ›Vielleicht könnte man ja irgendwie erreichen, dass sie nicht mehr ganz so tot ist, nicht mehr ganz so unerreichbar.‹«
»Ist das nicht eine ziemlich … seltsame Reaktion?«, fragte Jason Peterman.
Meredith zuckte mit den Schultern. »In einem solchen Moment gibt es nur seltsame Reaktionen. Wir wissen doch nie, was wir trauernden Menschen sagen sollen. Unsere ganze Kultur tut sich schwer mit Trauer. Wir wollen, dass die Leute so schnell wie möglich über den Tod hinwegkommen, dass sie wieder bessere Laune haben und ihre Trauer hinter sich lassen. Und dann verlieren wir selbst einen geliebten Menschen und werden mit unserer Trauer alleingelassen, weil die Leute um uns herum nur betreten sagen können: ›Es tut mir so leid.‹ Und in Wirklichkeit denken sie: ›Hoffentlich geht es dir bald wieder besser, damit wir endlich wieder zur Happy Hour gehen und Spaß haben können.‹«
»Aber ist d as nicht ganz wichtig für den Heilungsprozess?«
»Was meinen Sie?«
»Hilft RePrise den Leuten wirklich bei ihrer Trauer? Oder hilft es ihnen nur, wieder besser gelaunt zu sein?«
»Beides. Erstens fühlt man sich sofort besser , weil man den geliebten Menschen weniger vermisst, zweitens hilft es einem bei der Erinnerung, weil man mehr Zeit mit demjenigen verbringen darf. Und es hilft einem, über den Verlust zu reden. Dank Sam bestehen wir Trauernden nicht mehr nur noch aus Trübsal. Er hat uns eine neue Möglichkeit geschenkt, mit Tragik und Verlust umzugehen.«
»Aber bedeutet das nicht, dass man nie richtig trauert und deshalb auch nie einen Heilungsprozess durchläuft, durch den man die Tragödie irgendwann hinter sich lassen kann?«
» Niemand möchte einen geliebten Menschen hinter sich lassen«, widersprach Meredith. »Wenn man ihn vergisst, ihn hinter sich lässt, ihn nicht mehr wichtig nimmt … ist das schlimmer als der Tod selbst.«
»Aber was ist mit Heilu ng, Aussöhnung, innerem Wachstum?«
» Das alles passiert ja trotzdem«, insistierte Meredith. »Nur dass einem dabei die Person hilft, die am besten dazu in der Lage ist.«
»War«, korrigierte Jason Peterman. »Die am besten dazu in der Lage war .«
»Die Vergangenheitsform ist jetzt passé.«
Am nächsten Tag war im Liveticker von CNN zu lesen: »Der Erfinder von RePrise gibt zu: ›… selbstverständlich sind unsere Projektionen nicht real.‹« Und die Überschrift in der Seattle Times lautete: »Trauer, Heilungsprozess, Weiterentwicklung? Ein Unternehmen aus Seattle behauptet: ›Alles passé‹.«
In den folgenden Wochen kam es ihnen so vor, als würde jede Zeitung, jedes Magazin, jeder Fernsehsender und jede Online-Redaktion der Welt bei ihnen anrufen und unverschämte Fragen stellen. Dash argumentierte, dass es keine schlechte Werbung gebe. Sam argumentierte, dass die Leute eben dumm seien und es doch völlig egal sei, ob sie RePrise verstanden oder nicht. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Aber Meredith, die besser als jeder andere wusste, was RePrise einem zurückgab, und die auch das Herz des Mannes, der das alles möglich gemacht hatte, besser kannte als irgendjemand sonst, machte all das schwer zu schaffen.
»Wenn diese Leute doch nur dein gutes Herz und deine Großzügigkeit sehen könnten«, sagte sie verzweifelt zu Sam. »Und deine urspr ünglichen Beweggründe für RePrise .«
»D ich ins Bett zu kriegen?«
»M ir dieses unglaubliche Geschenk zu machen und Menschen zu helfen, besser mit dem Tod zurechtzukommen. Während der gesamten Menschheitsgeschichte war der Tod etwas Unab änderliche s, eine
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