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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Voraussetzung, der leibliche Vater dieses Kindes zu sein, zumindest mich zu dieser »Leiblichkeit« eidesstattlich bekannt zu haben. Was nun nicht mehr der Fall sein konnte. Dennoch war man willens, meine Tauglichkeit weiterhin als gegeben anzusehen. Auf eine gewisse Weise war ich ganz einfach der logische und zwangsläufige Vater für dieses Kind. Es war so offensichtlich, wie sehr das Schicksal keinerlei Umstände gescheut und gleich zwei Bürokratien ausgetrickst hatte, um mich und dieses Kind zusammenzubringen. Das konnte etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten, aber es wirkte doch ungemein mächtig. Und ich habe es ja schon einmal gesagt: Bürokratien sind viel mehr vom Metaphysischen abhängig, als man meinen mag. Das ist es, was sie so unfaßbar macht und weshalb man sich im Umgang mit ihnen so ausgeliefert fühlt. Und nicht, weil dort lauter böse Menschen arbeiten.
    Man bat mich, die nächsten Tage in München zu bleiben, um diverse Klärungen abzuwarten. Und vor allem, um Simon zusammen mit Frau Heinsberg sowie einer Vertreterin des Jugendamts und einem Dolmetscher zu treffen, damit wir uns aneinander gewöhnen könnten.
    Vorher aber informierte mich die Dame vom Jugendamt über die Psyche Simons, zumindest beschrieb sie mir die Psyche von Kindern in solchen Situationen. Nicht, daß sie wirklich etwas wußte. Zwar hatte sie Simon gesehen und versucht, sich mit ihm zu unterhalten, aber sie erklärte mir nun: »Das Kind scheint einen Dialekt zu sprechen, den niemand hier versteht. Auch Frau Heinsberg nicht. Darum haben wir einen zusätzlichen Dolmetscher kommen lassen.«
    »Na ja«, meinte ich, »ob Hochchinesisch oder Dialekt, ist für mich eigentlich egal.«
    »Sie sollten aber schon versuchen, seine Sprache zu lernen. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Wurzeln des Kindes zu erhalten. Und immerhin eine Bereicherung für Sie selbst, Herr Braun.«
    Ich hätte ihr gerne geantwortet: »Lern selbst mal Chinesisch, du dumme Nuß.«
    Sie war mir gleich zu Beginn unsympathisch gewesen. Eine Frau in weiten Kleidern und mit einer riesenhaften Brille und einer Halskette aus Elementen groß wie Holzklötze von Matador. Dazu eine Stimme wie ein Polizeiausweis. Eine Emanze von der unguten Sorte. Ich habe da meine Vorurteile, wie ich gerne gestehe.
    Doch das Problem mit der Sprache lag ohnehin sehr viel tiefer. Wie tief, erklärte uns dann der Dolmetscher, ein älterer Herr, ein Han-Chinese, der Taiwanisch sprach sowie sämtliche Hakka-Dialekte beherrschte und auch als Spezialist für die Ureinwohnersprachen auf Taiwan galt. Zudem verfügte er über ein ganz wunderbares Deutsch, mit einem winzig kleinen Akzent, gerade so viel, um der deutschen Sprache einige exotische Ornamente zu verleihen: ähnlich Untertiteln, aber nicht aus Schriftzeichen, sondern Musiknoten. – Es war wirklich angenehm, ihm zuzuhören. Auch besaß er eine gute Art, auf Simon einzugehen, sich zu ihm beugend, ohne ihn zu berühren, ohne auch nur einen Finger auf dem Kind abzusetzen, wie das Erwachsene gerne und unbewußt tun, auch die, die sich darüber aufregen, wenn andere über das Haar der lieben Kleinen streichen oder Bonbons verteilen.
    Der alte Mann richtete das Wort an Simon und probierte verschiedene Dialekte aus. Ohne daß jedoch Simon reagiert hätte. Es war nicht so, daß er sich in sein Schweigen vergrub, aber er schien einfach nicht zu verstehen, was hier gesprochen wurde.
    Der Dolmetscher zeigte in der Folge auf den Tisch, um den herum man saß, und sagte »table«, denn immerhin verwendeten viele Taiwaner die englische Sprache. Sodann übersetzte er das Wort in die häufigsten Formen, die auf dem nationalchinesischen Inselstaat Anwendung fanden.
    Mitten in dieser Aufzählung unterbrach Simon den Übersetzer, zeigte seinerseits auf den Tisch und sprach ein Wort. Und gleich darauf auch andere Wörter, die zu Ketten und Sätzen verschmolzen. Ich dachte mir: »Fein, unser Dolmetscher hat den richtigen Knopf gedrückt.«
    Aber nur bedingt. Denn am Ende von Simons kleiner Redeflut drehte sich der alte Mann zu uns anderen hin und erklärte: »Ich kann Ihnen nicht sagen, was der Junge da von sich gibt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß es sich um keine der bekannten Sprachen auf Taiwan handelt. Keinen chinesischen Dialekt und keine Ureinwohnersprache. Nichts davon.«
    Die Jugendamtsdame fingerte an ihren Schmucksteinen herum und meinte, die Unverständlichkeit resultiere vielleicht nur daraus, daß Simon sprachlich ein wenig zurückgeblieben

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