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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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je länger ich diese Frau betrachtete, um so mehr bekam ich den Eindruck, es handle sich um eine grundsätzlich angezogene Person, eine grundsätzlich bekleidete, eine niemals wirklich nackte. So, als wäre sie mit diesem Kleid, den leichten Sandaletten, dem silbernen Sternchen in ihrem rechten Nasenflügel und den blaugrün lackierten Fingernägeln bereits auf die Welt gekommen und all das mit ihr mitgewachsen. Ebenso lanamäßig empfand ich, wie Heinsbergs Hand fortgesetzt auf der Schulter des Jungen ruhte. So, konnte man sich vorstellen, war es, wenn ein Engel einen berührte. Ruhig, fast körperlos, aber effektiv. (Und seien wir doch ehrlich, auch Engel, zumindest erwachsene Engel, kann man sich eigentlich nur irgendwie bekleidet denken, oder?)
    Genau diese Hand schob sie nun auf den Nacken Simons und lenkte ihn solcherart zurück zur Tür, durch die sie beide gekommen waren.
    »Warten Sie!« rief ich.
    »Ja?« Sie bog allein ihren Kopf in meine Richtung, zusammen mit dem Kind im Schritt erstarrend.
    »Hören Sie. Ich weiß nicht, was man in dieser Situation eigentlich machen kann. Aber ich will nicht, daß Sie den Jungen zurückschicken.«
    »Wenn Sie das nicht wollen«, meinte sie, »müssen Sie auch bereit sein, etwas für ihn zu tun.«
    Erneut fragte ich: »An was denken Sie denn? Daß ich das Kind adoptiere? Ohne Ehefrau, ohne Lebensgefährtin?«
    »Das deutsche Adoptionsrecht läßt so was zu. Auch Alleinstehende kommen in Frage. Und glauben Sie mir, vor allem die Behörde in Tainan würde alles tun, um in dieser verfahrenen Situation …«
    »Abstrusen Situation«, wandte ich ein.
    »Gleich, wie sie heißen soll, die Situation, man wäre sicher bereit, hier eine Lösung zu finden«, erklärte Frau Heinsberg. »Auch wenn dazu nötig ist, ein paar Regeln zu umgehen. Der ganze Prozeß läuft ohnehin jenseits des Üblichen.«
    Aber wirklich! Gleichzeitig muß gesagt werden, daß trotz Haager Konvention ein reger illegaler Kinderhandel in der Welt kursierte, um die Kinderwünsche derer zu befriedigen, die anders nicht weiterkamen. Viel Schlimmes geschah, während ich selbst ja keineswegs alle möglichen Hebel und Schalter in Bewegung gesetzt hatte, um mir einen langgehegten Wunsch zu erfüllen. Nein, es war umgekehrt. Der Wunsch – wenn wir uns ihn als ein aktives, umtriebiges Wesen vorstellen – hatte sich mich ausgewählt. Ich war es, den er sich erfüllte.
    Frau Heinsberg, diese Frau mit blaugrünen Fingernägeln und wächserner Haut, die wohl in Wirklichkeit einer höheren Institution als der taiwanischen Auslandsvertretung verpflichtet war, kam zusammen mit Simon zurück. Sie beugte sich seitlich zu dem Jungen hinunter, zeigte zu mir hoch und erklärte etwas auf chinesisch. Er schien sie aber nicht zu verstehen, möglicherweise sprach sie das falsche Chinesisch.
    Sie blickte zu mir hin und forderte mich auf: »Geben Sie ihm die Hand.«
    Ich hob meinen Arm und spreizte leicht meine Finger. Er tat es mir gleich. Ich sah, wie seine rechte Hand in dem breiten Pulloverärmel hin und her schlackerte. Ich griff vorsichtig nach ihr. Wäre ich blind gewesen und jemand hätte mir erklärt, ich hielte gerade einen Papierflieger in der Hand, ich hätte es geglaubt.
    Verdammt! Man sollte nichts berühren. Berührungen machen einen schwach. Das Fell einer Katze, der Stiel eines Weinglases, die kalte Macht einer Geldmünze, die polierte Fläche eines Pokals, die Hand eines Kindes.
    Ich sagte: »Hallo, Simon. Es freut mich, dich kennenzulernen.«
    Ich lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Ein Lächeln gleich einem Pinselstrich von Eiklar, dünn und durchsichtig, aber frei von Lüge, frei von Routine oder Spekulation.
    Ich hatte noch immer seine Hand in der meinen. Ich hörte jetzt Frau Heinsberg, wie sie meinte: »Muß ich die Feuerwehr rufen?«
    »Wieso denn?«
    »Na, damit sie mit einem Schneidbrenner anrückt, um Ihrer beide Hände wieder zu trennen.«
    Sie meinte es absolut liebenswürdig. Ich sah ihre Freude. Und ich sah meine eigene Freude. Und die Simons, selbst wenn ihm der Witz auch dann unverständlich geblieben wäre, hätte er Deutsch gekonnt.
    Stimmt, ich würde ihm diese Sprache beibringen müssen.
    Deutsch und Schwimmen und Hürdenlauf. – Der perfekte Dreikampf.

11
    Natürlich, ich konnte den kleinen Simon nicht einfach einpacken und mitnehmen, als handle es sich um ein Stück Wurst. Andererseits war meine »Eignung« als Adoptivvater bereits festgestellt worden, wenngleich unter der

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