Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
ob er seinen gottverdammten Verstand verloren hätte«, sagte ich. »Gibt absolut keinen Grund, sich freiwillig zu melden, um irgendwo durch die Wüste zu rennen und vielleicht noch auf eins dieser IUDs zu treten.«
»IED«, sagte Tequila.
Ich starrte ihn erbost an. »Was?«
»Improvised Explosive Device. IED.«
Ich kratzte mich am Kopf. »Und was hab ich gesagt?«
»Etwas anderes«, erwiderte Tequila. Dann schwiegen wir einen Augenblick, und er wandte sich schließlich an Yael. »Mein Vater verstarb. Die Familie brauchte mich hier.«
»Ihr Sohn?«, fragte mich Yael.
Ich nickte. Tequila beugte sich zu Yael, und ich bemerkte, dass er unterm Tisch die Hand auf ihren Oberschenkel gelegt hatte.
»Diese Terroristen und Aufständischen, die haben keine richtige Armee«, sagte Yael. »Nicht die Mittel, für Amerika zur ernsthaften Bedrohung zu werden. Keine Panzer und keine Schiffe. Okay, sie können ein Gebäude zerstören, aber sie können für euch nicht zu der Gefahr werden, die uns in meiner Heimat droht. Wir sind von Feinden umzingelt. Hier bei euch muss man um seiner Familie willen bleiben, aber in Israel müssen wir um unserer Familien willen kämpfen.« Sie blickte zu mir auf. »Wer das für irrsinnig hält, weiß ganz bestimmt nicht, was es bedeutet, sich ständig in einer lebensbedrohlichen Situation zu befinden.«
»Ständige lebensbedrohliche Situation?« Ich musste kurz lachen. »Süße, ich bin achtundachtzig Jahre alt. Wenn der Typ, der mir ein Sandwich macht, vergisst, sich die Hände zu waschen, wird die Situation für mich lebensbedrohlich.«
Der Kellner tauchte auf, und ich bestellte die Nudeln mit der roten Soße.
Was ich im Fernsehen sah und nicht vergessen will:
Auf AMC fand ich im Rahmen einer Clint-Eastwood-Reihe eine Podiumsdiskussion über die Präsentation älterer Personen im Film. Tequila hatte sich mit dem verdächtigen Israeli-Girl verzogen, und ich erwartete ihn nicht vor dem nächsten Morgen zurück.
»Wir leben in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft. Die Babyboomer sind inzwischen ältere Mitbürger«, sagte der Fernsehmoderator. »Warum sehen wir da nicht mehr ältere Menschen im Film?«
Die Kamera schwenkte zu einem bärtigen Filmprofessor von der NYU, demselben Typen, der auch am Abend, als Rose sich verletzte, im Fernsehen geredet hatte. Wahrscheinlich war ein neues Buch von ihm auf dem Markt. Ich nahm mir vor, es auf keinen Fall zu lesen.
»Das Repertoire an Geschichten über ältere Menschen ist klein«, erläuterte der Professor. »Diese Personen fangen keine romantischen Beziehungen mehr an. Sie sind gewöhnlich nicht in internationale Machenschaften verstrickt. Sie führen ein eingefahrenes Leben, in dem es keinen Platz für Dramen gibt. Als Protagonisten tauchen sie in Geschichten der Kontinuität auf, der Weitergabe von Wissen an eine jüngere Generation und in Geschichten über den Tod.«
»Und mehr Stoff ist da draußen nicht zu finden?«, fragte der Moderator.
»Es handelt sich doch durchaus um starke Themen. Jeder Film, in dem der Zuschauer Zeuge wird, wie ein älterer Mensch einen jüngeren unter seine Fittiche nimmt, handelt davon, dass der jüngere Mensch selbstständig wird, während der ältere von der Bühne abtritt. Diese Charaktere begeben sich gemeinsam auf eine Art literarische oder metaphorische Reise, gewinnen unterwegs Respekt füreinander, und am Schluss ist der jüngere Mann gerüstet, allein weiterzumachen.«
Der Moderator schien Ausschlag am Hals zu haben undkratzte daran. Als regelmäßiger Zuschauer bei Talk-Runden im Kabelfernsehen bekam ich so manchen hässlichen Zeitgenossen zu sehen. »Und der ältere Mann muss immer sterben?«, fragte er.
Der Professor nickte. »Wie wir alle. Ältere Menschen sterben nun mal eher als der Rest von uns. Die älteren Menschen in den Erzählungen unseres Kulturkreises verweisen auf Sterblichkeit, entweder die Auflösung des Selbst oder die Erhaltung von Lebensweisheit durch Weitergabe. Der Handlungsbogen in der Geschichte des alten Menschen ist die Reise zum Tod und dem Ziel, seinen Frieden mit dessen Unausweichlichkeit zu finden.«
»Immer?«, fragte der Moderator.
Der Professor strich sich nachdenklich über den Bart. »Nun, manchmal kommt es am Ende einer dieser Geschichten dazu, dass der Alte etwas erfährt, das ihm neue Kräfte verleiht: Dann entsorgt er seine Gehhilfe auf dem Müll und fängt zu tanzen an oder vollbringt, gemessen an seinen physischen Einschränkungen, etwas Unfassbares.
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