Der Altman-Code
»Übrigens, woher sollte dieser Mann, selbst wenn er wirklich David Thayer ist, etwas über dich wissen, Sam? Er weiß nur, dass er einen Sohn hatte, aber woher soll er wissen, dass seine Witwe Serge Castilla geheiratet hat?«
»Das ist ganz einfach. Falls dieser Mann tatsächlich David Thayer ist, braucht er doch nur zwei und zwei zusammenzuzählen. Er weiß, er hatte einen Sohn namens Samuel Adams und einen engen Freund namens Castilla.
Und Castilla ist alles andere als ein geläufiger Name.
Mein Lebensalter hätte genau gepasst.«
»Da hast du natürlich Recht«, gab Klein zu. »Aber was ist mit den undichten Stellen? Vielleicht haben wir im Weißen Haus einen Spion, der Beijing alles erzählt hat, und das ist jetzt eins ihrer raffinierten Komplotte.«
Der Präsident schüttelte den Kopf. »Ich habe nie zu verbergen versucht, dass Serge mich adoptiert hat, aber es kam einfach nie zur Sprache. Außer meinen nächsten Familienangehörigen weiß niemand, nicht einmal Charlie Ouray, wer mein leiblicher Vater ist und was aus ihm geworden ist. Nicht einmal du wusstest es. Ich wollte kein Mitleid erregen oder meine Mutter in Verlegenheit stürzen.«
»Irgendjemand weiß immer Bescheid – und erinnert sich, und fordert einen Preis.«
»Und du bist ein unverbesserlicher Zyniker.«
»Das ist bei mir berufsbedingt.« Klein lächelte bitter.
»Wahrscheinlich.« Klein zögerte erneut. »Also gut. Wir können jedenfalls nicht grundsätzlich ausschließen, dass an der Sache nichts dran ist. Er könnte dein Vater sein. Und wenn er es ist, was willst du dann tun?« Der Präsident lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück, nahm die Brille ab und strich mit seinen großen Händen über sein Gesicht. Er seufzte schwer. »Ich will ihn natürlich unbedingt bei mir haben. Ich kann mir im Moment nichts vorstellen, was mein angegriffenes altes Herz mehr freuen würde. Stell dir vor, mein richtiger Vater lebt noch. Stell dir das mal vor! Unglaublich. Obwohl ich Serge sehr mochte, habe ich als kleiner Junge immer wieder von David Thayer geträumt.« Er hielt inne. Aus seinem Gesicht sprachen Melancholie und lange zurückliegender Trennungsschmerz.
Dann hob er die Schultern und wischte alles mit einer Handbewegung beiseite. »Also schön. Das war der Traum.
Aber jetzt ganz konkret: Was will der Präsident der Vereinigten Staaten? Natürlich will ich ihn aus China rausholen. Er ist Amerikaner. Deshalb verdient er die uneingeschränkte Unterstützung seines Landes. Wie bei jedem Amerikaner, der durchgemacht hat, was er durchgemacht hat, möchte ich mich mit, ihm treffen, ihm für seinen Einsatz danken und ihm die Hand schütteln. Aber davon abgesehen, gilt es auch weltpolitische Konsequenzen zu berücksichtigen. Da ist die Dowager Empress und da ist das Potenzial einer tödlichen Fracht, die sie in ein Land befördert, das uns gern vernichten würde.«
»Allerdings.«
»Wenn wir herausfinden, dass das Schiff die Chemikalien an Bord hat und wenn wir es stoppen müssen, kann ich mir nicht vorstellen, dass das Abkommen zu Stande kommt. Jedenfalls nicht dieses Jahr und wahrscheinlich nicht, bevor eine neue Regierung am Ruder ist. Es wird eher zu weiteren Verzögerungen kommen, in deren Verlauf die Chinesen versuchen werden, sich Klarheit über unsere Absichten ihnen gegenüber zu verschaffen. Angesichts seines Alters wird Thayer wahrscheinlich nie die Freiheit erlangen.«
»Wahrscheinlich nicht, Sam.« Der Präsident verzog das Gesicht, aber seine Stimme war fest und unnachgiebig, als er fortfuhr: »Allerdings darf das bei unserer Entscheidung keine Rolle spielen.
Nicht einen Augenblick lang. Wenn die Empress Chemikalien an Bord hat, muss sie aufgehalten und nötigenfalls sogar versenkt werden. Vorerst unternehmen wir jedenfalls nichts wegen dieses alten Mannes in China. Ist das klar?«
»Vollkommen, Mr. President.«
Donnerstag, 14. September - Shanghai, China
Die Air-China-Maschine aus Tokio flog vom Ostchinesischen Meer einen weiten Bogen über das immense Delta des Jangtse. Durch sein Fenster betrachtete Jon Smith die grüne Landschaft, die dicht gedrängten Häuser und den Dunst, der sich wie Wattebäusche in den tiefer gelegenen Teilen einer der bedeutendsten Metropolen Asiens festgesetzt hatte.
Während er sich in Gedanken mit dem Problem des verloren gegangenen Ladeverzeichnisses und den beängstigenden Folgen seines Verlusts beschäftigte, wanderte sein Blick vom dicht befahrenen Jangtse nach Norden zur Insel Chongming. Als
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