Der Altman-Code
sich aufrichten konnte, wandte er sich nach links, wo die Mauer an die Seitenstraße grenzte. Es gab zwar nirgendwo einen Baum, aber auch ein hoher Haufen aus abgebrochenen Ästen und anderen Abfällen erfüllte den gewünschten Zweck. Zum Glück war Yu Yongfu nur am schönen Schein gelegen – seinen Baumbestand auch dort zu pflegen, wo er nicht zu sehen war, interessierte ihn nicht, beziehungsweise war nicht interessant für ihr gewesen, wenn stimmte, was seine Frau gesagt hatte.
Smith nahm Anlauf, sprang auf den Haufen und schnellte in die Höhe. Er bekam den Rand der Mauer zu fassen, zog sich nach oben und setzte sich rittlings auf die Mauerkrone, um sich kurz umzusehen. An der Ecke stand Andy Ans Jetta.
Smith schaltete sein Walkie-Talkie ein. »Andy?«, flüsterte er. »Sie haben sich über das ganze Grundstück verteilt. Deshalb kann ich nicht an die Ecke kommen. Wenden Sie und fahren Sie an der Mauer entlang. Etwa in der Mitte werden Sie langsamer und lassen mich einsteigen.
Aber dann nichts wie weg.« Er wartete. Keine Antwort. Hatte Andy das Funkgerät nicht eingeschaltet? »Andy? Sind Sie da?« Stille.
»Andy?« Sein Magen krampfte sich zusammen. Ihm wurde eiskalt. Er fischte sein Nachtglas aus dem Rucksack und richtete es auf den Jetta. Am Steuer saß Andy und starrte durch die Windschutzscheibe reglos auf die Straße. Sonst war niemand in dem kleinen Auto.
Stirnrunzelnd beobachtete Smith den Wagen und die grüne Nacht um ihn herum. Andy hatte sich immer noch nicht bewegt. Smith beobachtete ihn zwei weitere endlos lange Minuten. Aber nichts veränderte sich. Andy bewegte sich nicht. Kein Muskelzucken. Kein Wimpernschlag.
Smith seufzte schwer. Andy war tot. Sie hatten ihn liquidiert.
Er steckte das Fernglas weg, sprang auf die Straße hinunter, rannte auf die andere Seite, wo mehrere kleinere Häuser standen und preschte durch deren Gärten davon.
Diesmal hörte er keine Rufe hinter sich. Wahrscheinlich konzentrierten sie sich ganz auf den Jetta, wo er, dachten sie, zu Andy stoßen würde.
Wütend und erschöpft verringerte er schließlich sein Tempo und ging zügig weiter. Verstohlen eilte er verlassene Straßen entlang, vorbei an den Gärten, Zäunen und Mauern von Villen, erbaut für Geschäftsleute, die ins Ausland gegangen waren und mittlerweile mehr und mehr in die Volksrepublik zurückströmten, um sich mit ihren Milliarden ein schönes Leben zu machen. Endlich erreichte er eine größere Straße. Schweißdurchnässt winkte er einem Taxi.
Beijing Im Wohnzimmer des Haupthauses von Niu Jianxings altmodischem Domizil am Rand von Xicheng, einem der ältesten Stadtviertel Beijings, klingelte das Telefon. Die Eule betrachtete sich gern als einen Mann des Volkes. Er hatte sich geweigert, es den zahlreichen Mitgliedern des Zentralkomitees gleichzutun, die sich weit draußen in Chaoyang luxuriöse Villen hatten bauen lassen. Sein Zuhause, obwohl durchaus geräumig und komfortabel, war alles andere als mondän.
Niu, der sich mit seiner Frau und seinem Sohn auf Video einen amerikanischen Gerichtsthriller angesehen hatte, war verärgert über die Störung. Zum Teil, weil sie während einer Zeit erfolgte, die eigentlich seiner Familie vorbehalten war und ihm umso wichtiger wurde, je weniger er seit seiner Aufnahme in den Ständigen Ausschuss in ihren Genuss kam. Aber sogar noch mehr ärgerte ihn, dass ihn der Anruf bei seiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit amerikanischen Vorstellungen von Verbrechen, Recht, Gesellschaft und Individualleben störte.
Trotzdem würde es niemand wagen, ihn so spät noch anzurufen, wenn es sich nicht um eine äußerst dringende Angelegenheit handelte. Er entschuldigte sich, ging ins Arbeitszimmer und schloss die Tür, um die Fernsehgeräusche und die gut gelaunten Kommentare seiner Frau und seines Sohnes zu dämpfen.
»Ja?«, fragte er, nachdem er den Hörer abgenommen hatte.
General Chu Kuairong vergeudete keine Zeit mit einleitenden Worten. »Unser Wissenschaftlerfreund Dr. Liang meldet, dass Jon Smith seiner Einladung zum Abendessen nicht nachgekommen ist. Stattdessen hat er dem Doktor nur eine Nachricht auf Band hinterlassen. Darauf fuhr dieser in der Hoffnung, Smith umstimmen zu können, zu dessen Hotel, um ihn auf seinem Zimmer aufzusuchen. Als Smith sich nicht meldete, ließ er den Geschäftsführer die Zimmertür öffnen, um sich zu vergewissern, dass Smith nichts zugestoßen war. Das Zimmer war leer.
Smiths Sachen waren noch da. Aber er selbst war
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