Der Altman-Code
Er hat mal in der Gegend dort unten gearbeitet.«
»Okay.« Smith holte eine Plastikmappe aus seinem Rucksack und nahm eine auf ein Satellitenfoto projizierte topografische Karte der Region Shanghai heraus. Nachdem er sich darauf von Mahmout die genaue Lage der Pagode und des Strands hatte zeigen lassen, las er die Wassertiefen ab und notierte sich in seinem kleinen wasserdichten Notizbuch Längen-und Breitengrade. Nachdem sie fertig waren, rollte er die Landkarte zusammen.
»Vergessen Sie Ihre Kopfbedeckungen nicht«, erinnerte ihn Alani.
Smith setzte das uigurische Käppchen und dann den Strohhut auf. Die Frauen gingen zu der Wandöffnung.
Smith folgte ihnen.
Mahmout hielt ihn zurück. »Wir nehmen einen anderen Ausgang.« Nachdem die anderen verschwunden waren und man das Wandstück wieder eingefügt hatte, führte ihn Mahmout ins hinterste Schlafzimmer. Dort schob er ein Kastenbett beiseite, hob ein Stück des Linoleumbodens hoch und deutete auf das Loch, das darunter zum Vorschein kam.
»Wir gehen hier raus.« Smith sah ihn skeptisch an. »Passe ich da überhaupt durch?«
»Unten wird es gleich weiter. Hoffentlich leiden Sie nicht an Platzangst.«
»Nein.«
»Ich gehe voraus. Und nur keine Aufregung. Das schaffen wir mit links.« Mahmout setzte sich und hängte die Beine in das Loch. Er warf einen kurzen Blick nach unten und ließ sich fallen.
Smith folgte ihm, aber er musste sich durch die Öffnung im Boden zwängen. Grabgeruch von Erde und Gestein drang in seine Nase. Er schürfte sich auf dem Weg zu dem dunklen, feuchten, mit Holzbalken gestützten Gang die Schultern auf. Ein Stück vor ihm, wo der unterirdische Gang enger wurde, sah er im Schein einer Taschenlampe Mahmouts Füße und Beine.
Mahmouts Stimme war gedämpft. »Hier sind auch schon korpulentere Männer als Sie durchgekommen. Halten Sie den Blick einfach immer auf meine Füße und das Licht gerichtet. Es sind etwa fünfundzwanzig Meter.« Dann bewegte sich das Licht, und die Füße verschwanden im staubigen Dunkel vor ihm. Smith kroch los und spürte zum ersten Mal in seinem Leben, was Platzangst ist – zu atmen zu versuchen, wenn man das Gefühl hat, keine Luft zum Atmen zu bekommen und im nächsten Moment lebendig begraben zu werden. Seine Lungen zogen sich zusammen, und seine Schläfen begannen heftig zu pochen.
Die Zeit schien still zu stehen, während er sich einschärfte, einfach tief einzuatmen und weiterzukriechen.
Einatmen. Kriechen. Immer den Füßen hinterher. Und das alles, während der dunkle Schacht ihn zu verschlingen schien.
Endlich veränderte sich die Luft. Sie stank faulig und stickig. Wie ein sterbender Fisch schnappte Smith nach Luft.
»Los, Beeilung«, drängte Mahmout, der sich aufrichtete.
Smith folgte ihm rasch. Sie befanden sich in einem Abwasserkanal. Smith konnte sich im Moment nichts Schöneres vorstellen.
Mahmout trabte los, und Smith torkelte ihm, immer noch schwer atmend, hinterher, bis sie durch ein offenes Eisentor auf eine Straße hinaustraten, wo zwei Land Rover am Randstein warteten. Smith wurde in das zweite Fahrzeug gezogen und nach hinten verfrachtet, wo die Sitze entfernt worden waren. Er saß zwischen drei Männern und zwei Frauen eingekeilt, unter denen er Toktufan, Mierkanmilia und die zwei Make-up-Spezialistinnen erkannte. Die anderen waren ihm fremd, aber alle trugen traditionelle uigurische Tracht. Alani saß auf dem Beifahrersitz, Mahmout fuhr.
»Warum zwei Land Rover?«, fragte Smith flüsternd.
»Der zweite dient als Lockvogel. Falls uns die Polizei beobachtet.« Der erste Land Rover, der ähnlich dicht besetzt war, setzte sich in Bewegung.
Sie warteten. Dann, fünf Minuten später, fuhren auch sie los. Nachdem sie eine Weile durch dunkle Seitenstra
ßen gekurvt waren, erreichten sie eine beleuchtete Durchgangsstraße, auf der auch in den frühen Morgenstunden schwacher Verkehr herrschte.
Mahmout blickte nach hinten. »Wir nehmen die Huhang-Schnellstraße nach Hangzhou. Natürlich werden wir auffallen: Acht Landeier aus Xinjiang auf dem Weg in den Süden nach Hangzhou. Allerdings werden wir aussehen wie Witzfiguren, nicht wie Untergrundkämpfer – das hoffen wir jedenfalls. Wenn uns die Geheimpolizei nicht schon auf den Fersen ist, weil sie nicht auf den Lockvogel hereingefallen sind, müssten wir es eigentlich schaffen.«
13 Huhang Schnellstrane, China Unter dem schwarzen Nachthimmel verlieh das Geflecht aus Schatten und Nebelfetzen der ländlichen Szenerie etwas
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