Der Altman-Code
Er blieb vor dem Schreibtisch stehen und sah sich in dem luftigen Büro um, als versuchte er sich zu erinnern, was er beim Hereinkommen gemacht hatte.
Cruyff sah ihn finster an. »Ich führe gerade ein wichtiges Gespräch, Dr. St. Germain. Bitte machen Sie schnell.« Er hielt inne, um auf die Telefonstimme zu hören.
Das Richtmikrofon in Smiths Ohr empfing Cruyffs Worte, die er in den Hörer nuschelte, laut und deutlich.
Cruyff hatte die Hand um die Sprechmuschel gelegt und flüsterte: »… Ich glaube nicht. Nein, Sir, er hat sich lediglich nach dem Stand unserer Forschung mit Hantaan-Viren erkundigt. Vor allem wollte er wissen, ob wir an irgendwelchen Impfstoffen arbeiten. Er wollte eine Einladung haben, um unser Labor in der Volksrepublik besuchen zu können.
Was? Nein, da ist nichts faul an der Sache. Er arbeitet tatsächlich bei USAMRIID, Sir, ja. Das muss ein Zufall sein.
Was? Ähm, ja, eine eigenartige Frage hat er tatsächlich gestellt – ob wir hauptsächlich mit chinesischen Firmen zusammenarbeiten. Er sah meine Schiffsmodelle und …«
Smiths Blick blieb auf der Couch ruhen. »Ah, hier muss es gewesen sein!« Er setzte sich und fasste zwischen die Polster.
»Ich bin sicher, da täuschen Sie sich, Sir.« Cruyff beobachtete seinen Besucher stirnrunzelnd weiter bei seiner Suche.
»Ich würde sagen, etwas über eins achtzig, ja, und …«
Smith hatte genug gehört. Besser, er verschwand, bevor Cruyff zu misstrauisch wurde. Mit einem erleichterten Grinsen zog er das Taschenmesser aus seinem Versteck und hielt es hoch. »Hier ist es. Muss mir aus der Tasche gefallen sein. Entschuldigen Sie bitte die Störung, und noch mal vielen Dank, Monsieur Cruyff.« Als er zur Tür hinausschoss, rannte er fast die erboste Walküre um, die gerade nach dem Rechten sehen wollte.
Kurz darauf trabte Smith den Flur zu den Fahrstühlen hinunter. Die einzige offene Lifttür schloss sich gerade.
Er spurtete los, konnte sich noch hindurchzwängen und drückte auf den Knopf.
Als der Lift losfuhr, lächelte er sich grimmig selbst zu: Offensichtlich gab es in der Firma jemanden, der höher gestellt war als der Leiter der asiatischen Niederlassung.
Und zwar so viel höher, dass Cruyff ihn nicht hatte warten lassen wollen, während er, Smith, nach seinem Messer gesucht hatte. Und der Betreffende hatte herauzubekommen versucht, ob Major Kenneth St. Germain wirklich bei USAMRIID war … ob er irgendwelche ungewöhnlichen und unerwarteten Fragen gestellt hatte … und wie er ausgesehen hatte.
Und was für eine Bedeutung hatte Cruyffs erschrockener Blick zum Safe, als Smith sich erkundigte, ob Donk & LaPierre mit chinesischen Firmen zusammenarbeitete?
Manila Ralph McDermid lag in dem hohen Raum, der einst spanische Granden beherbergt hatte, unter seidenen Laken auf dem Himmelbett und knurrte ins Telefon: »Was sonst noch?« Seine Lockerheit und seine gute Laune waren längst verflogen.
Charles-Marie Cruyff vervollständigte die Beschreibung des Mannes, der ihn aufgesucht hatte, um ihm Fragen zu stellen, die sich problemlos auch telefonisch oder per E-Mail hätten beantworten lassen, und der sich erkundigt hatte, ob Donk & LaPierre mit chinesischen Reedereien zusammenarbeitete.
»Er ist schätzungsweise Anfang vierzig«, sagte Cruyff.
»Sportliche Figur. Sah aus, als würde er regelmäßig Sport treiben oder ins Fitnessstudio gehen.«
»Dunkles, nach hinten gekämmtes Haar?«
»Nein, Sir. Eher dunkelblond, würde ich sagen, und auf der Seite gescheitelt. Ich bin sicher …«
»Okay. Im Shangri-la Hotel, sagen Sie? In Kowloon?«
»Dorthin soll ich ihm jedenfalls mein Empfehlungsschreiben schicken.«
»Warten Sie damit noch ein paar Stunden. Bis ich wieder in Hongkong zurück bin.«
»Wie Sie wünschen, Mr. McDermid. Aber ich bin sicher, er ist der Mann, als der er sich ausgegeben hat. Vergessen Sie nicht, der Termin wurde von USAMRIID über unsere Zentrale in Antwerpen vereinbart.«
»Vielleicht haben Sie Recht, Charles-Marie. Vielleicht will er wirklich bloß Ihre Forscher besuchen. Wir unterhalten uns ausführlicher, wenn ich in Hongkong zurück bin. Bis dahin nehmen Sie sich dieser Angelegenheit an.«
»Selbstverständlich, Mr. McDermid.« McDermid legte auf und ließ sich mit geschlossenen Augen auf das Bett zurücksinken. Seine gute Laune stellte sich ebenso wenig wieder ein wie seine Lockerheit. Als das Mädchen, parfümiert und schimmernd nackt aus dem Bad kam, schlug er die Augen auf und schickte sie mit einem kurzen
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