Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
Vom Netzwerk:
nahm den Druck, dem er selbst ausgesetzt war, als Beweis für seine Führungsqualitäten. Aber es war eine belastende Situation. Ein extravaganter Immobilienmogul mit Toupet und unschätzbar hohem Vermögen hatte angekündigt, einen eigenen Wettbewerb für eine neue Gedenkstätte auszuloben und die Bürgschaft für die Umsetzung des Gewinnerentwurfs zu übernehmen, obwohl niemand sicher war, ob er wirklich über die dafür nötigen Mittel verfügte. Kaum dass das bekannt wurde, hatte ein liberaler Hedgefonds-Milliardär aus Pauls Bekanntenkreis angerufen und sich bereit erklärt, einen beachtlichen Teil der Kosten des Gartens zu übernehmen.
    »Meinen Sie, das löst das Problem?«, hätte Paul ihn am liebsten angefahren, so wütend war er. »Meinen Sie, es ist den Amerikanern gegenüber fair, einen demokratischen Prozess mit Geld umgehen zu wollen?« Aber er sagte nur: »Warten wir, bis die Auswahl endgültig abgesegnet ist, dann werde ich Sie auf Ihr Versprechen festnageln.«
    Als wäre das endlose Nachrichtengeplärr – wie eine Autoalarmanlage, die sich nicht abschalten ließ – nicht genug, konnte Paul den Fernseher nicht anschalten, ohne mit unheilverkündenden Hetzkampagnen gegen den Garten konfrontiert zu werden. Eine zeigte wutschäumende Iraner, die »Tod für Amerika« schrien, steinewerfende Palästinenser, Frauen in Burkas, Gewehre schwenkende Talibankämpfer, Terroristenführer mit wallenden Bärten, explodierende Atombomben, Massen von betenden Muslimen – und natürlich Mohammad Khan, dessen finsteres Gesicht unter den Worten »Rettet die Gedenkstätte« zu sehen war. Niemand wusste, wer für die Spots bezahlte – Reporter konnten die vermeintlich dahintersteckende Gruppe nur bis zu einem Postfach in Delaware zurückverfolgen.
    »Haben wir vergessen?«, begann ein weiterer Spot, die Worte weiß auf schwarz. Es folgte eine Montage der herzzerreißendsten Bilder vom Tag des Anschlags: Menschen, die mit rudernden Armen und Beinen aus den Fenstern stürzten, verzweifelte Nachrichten auf Anrufbeantwortern, die panischen Stimmen der Notrufmitarbeiter, der Einsturz des ersten Turms, dann des zweiten, die Tsunamiwelle aus Rauch, die erschrockene New Yorker durch enge, von einem lauten Dröhnen erfüllte Straßen jagte, die fassungslosen und verzweifelten Gesichter überall. Dann: »Die Jury hat anscheinend vergessen« – darunter ein blasses, aber unverkennbares Bild, fast ein Hologramm, von Mohammad Khan – »Wir anderen nicht!«
    Das Schlimmste für Paul war jedoch die persönliche Bedrohung, obwohl er es nur ungern zugab. Der Weekly Standard hatte »den bislang allseits respektierten Vorsitzenden der Gedenkstättenjury« mit massiven Vorwürfen überhäuft, weil er an Khans »Märtyrerparadies« festhielt.
    »Verrät Rubins stillschweigende Billigung eine mangelnde Bereitschaft zum Kampf gegen die islamofaschistische Bedrohung? Bedeutet sie, dass er Sympathien für die Ziele dieser Bewegung empfindet? Ist er, kurz gesagt, für uns oder für sie?«, hatte die Zeitschrift gefragt. »Wir möchten ihn daran erinnern, was 1938 uns lehrte, nämlich dass Neutralität im Angesicht einer existenziellen Bedrohung nichts anderes ist als Beschwichtigungspolitik. Wir würden von Mr Rubin gern einen Hinweis darauf sehen, wo er steht. Der Augenblick für Klarheit im Sinne von Churchill ist gekommen.« Als Paul das las, hatte er sich schwer in seinen Sessel fallen und den Kopf hängen lassen, was ihm immerhin Churchills Doppelkinn verlieh. Seitdem war ihm der Appetit vergangen.
    »Ich bin sicher, es war sehr unangenehm für Sie, die Kolumne im Weekly Standard zu lesen«, sagte Claire in diesem Augenblick.
    Überrascht, dass sie sie gesehen hatte – Claire war kaum eine typische Leserin dieses konservativen Blattes –, warf er ihr einen fragenden Blick zu.
    »Was habe ich nachts denn anderes zu tun, als alles zu lesen, was zu diesem Thema geschrieben wird«, sagte sie mit einem leisen Lächeln, mit dem sie sich über sich selbst lustig machte.
    Falls sie auf Mitleid aus war, hatte sie seins gewonnen. Paul dachte oft daran, dass sie in ihrem Haus ganz allein lebte – die Kinder zählten nicht, nicht auf die Weise, wie er es meinte. Es ließ ihn schaudern. Wie viele lange verheiratete Männer konnte er nicht einmal den Gedanken ertragen, allein zu sein, geschweige denn tatsächliches Alleinsein. Seine Fantasie steckte ihn gelegentlich mit einer jüngeren, schöneren Frau zusammen, fast identisch mit der,

Weitere Kostenlose Bücher