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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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die ihm gegenübersaß, bevor er dann wieder zur Geborgenheit bei Edith zurückhuschte. Aber falls Edith, der Himmel bewahre ihn, vor ihm sterben sollte, wäre seine Trauer zwangsläufig nur kurz. Er würde schnell wieder heiraten müssen. Und Claire war schon seit ganzen zwei Jahren allein. Er wusste nicht, ob er sie dafür bewundern oder sie mit Misstrauen betrachten sollte.
    »Kein Spaß, nicht wahr, diese ganze Sache«, sagte sie. »Manchmal wünschte ich, es wäre einfach vorbei.«
    Wieder war er überrascht. »Aber Claire, wenn Sie bekommen, was Sie wollen – wenn der Garten tatsächlich die Gedenkstätte wird –, wird es nie vorbei sein. Teils weil irgendjemand garantiert für immer und alle Zeiten gegen Khan und den Garten agitieren wird. Aber auch, weil er die Gedenkstätte sein wird. Das hier ist keine hypothetische Übung, bei der man einen Sieg für die Toleranz verkündet und dann nach Hause geht. Der Garten, Khans Entwurf – wird von uns gebaut werden. Das ist es, was Sie wollen müssen.«
    »Ich weiß«, sagte sie irritiert. »Ich will den Garten so sehr wie eh und je.«
    Er glaubte ihr nicht, bedrängte sie aber nicht weiter.

15
    D ie Selbstschutzgruppen bildeten sich nach dem dritten oder vierten abgerissenen Kopftuch. Überall im Land patrouillierten mit Baseballschlägern bewaffnete junge Muslime durch die Straßen ihrer Viertel, um Unbekannte, die Frauen im Hidschab zu nahe kamen, zu verscheuchen, gelegentlich auch zu verprügeln. Selbst orthodoxe Juden, die in der Nähe von Kensington lebten, machten inzwischen lieber einen Bogen um das Viertel, obwohl sie, deren Frauen ihre Haare unter Perücken versteckten und mehr als züchtig gekleidet waren, für derartige Übergriffe eher nicht in Frage kamen.
    Eines Abends sahen sich Asma und die Mahmouds eine Sondersendung zum Thema »Die Kopftuchkrise« an. Wie üblich übersetzte Mr Mahmoud für die beiden Frauen. Eine gewisse Debbie, die einer Gruppe namens »Save America from Islam« angehörte (»allmählich sieht es so aus, als müssten wir vor Amerika gerettet werden«, sagte Mr Mahmoud mit untypischem Humor), regte sich fürchterlich über die Selbstschutzgruppen auf. »Es ist Dhimmitude! Nicht-Muslimen wird der Zutritt zu muslimischen Vierteln verwehrt. Wem gehört denn dieses Land?« Dagegen verteidigte sie das Abreißen der Kopftücher: »Im Iran, in Saudi-Arabien, werden Frauen gezwungen, Kopftücher als Zeichen der Unterwerfung zu tragen. Aber wir sind hier in Amerika. Im Grunde genommen ist das, was diese Männer durch das Abreißen der Kopftücher tun, ein Akt der Befreiung.«
    Mr Mahmoud schnaubte. »Ja, sicher. Unsere Frauen fühlen sich seitdem so befreit, dass sie sich nicht mehr aus dem Haus trauen.«
    An diesem Abend konnte Asma nicht einschlafen, weil sie nicht vergessen konnte, was Mr Mahmoud gesagt hatte. Er hatte nicht übertrieben: Viele Frauen in Kensington, die ihre Köpfe bedeckten, wagten es nicht mehr, das Viertel, wenn nicht gar ihre Wohnungen zu verlassen. Ihre Angst vor Bloßstellung, vor der Gewalt, war zu groß. Sie wurden ebenso unsichtbar wie Hasina, Asmas Nachbarin von nebenan, was die Kabirs dieser Welt sicher freute.
    Am nächsten Tag zog Asma ihren papageiengrünen Salwar Kamiz an, schlang sich das passende Dupatta fester als normalerweise um den Kopf und bat Mrs Mahmoud, auf Abdul aufzupassen. Mrs Mahmouds Mund verzog sich zu dem für sie typischen kleinen, unwillkürlichen Lächeln, das sie immer aufsetzte, wenn etwas Aufregendes in der Luft lag.
    »Ich muss zur Apotheke«, sagte Asma. In Wahrheit hatte sie vor, einen Spaziergang über die Grenzen von Kensington hinaus zu machen, um zu sehen, was passieren würde. Vielleicht würde sie sogar mit der U-Bahn bis nach Manhattan fahren, um zu erkunden, wie man sich dort fühlte. Entschlossen ging sie die vier Treppen hinunter und trat auf die Straße hinaus.
    Einen Block später spürte sie jemanden viel zu dicht hinter sich. Ihr Körper versteifte sich. Als sie sah, dass es nur ein paar junge Männer aus der Nachbarschaft waren, atmete sie erleichtert auf, blieb stehen, um sie vorbeizulassen, und merkte, dass sie gar nicht vorbei wollten. Sie gingen mit ihr. Folgten ihr wie ein Schatten.
    »As-salamu alaikum«, sagte sie.
    »Alaikum as-salam«, antworteten sie höflich.
    Mehr sagten sie nicht zu ihr und sie nicht zu ihnen. Gemeinsam gingen sie weiter, gemeinsam beschrieben sie einen Zickzackweg durch das Viertel. Die Jungen – es waren sechs oder

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