Der amerikanische Architekt
gelesen, dass man die kleinen Worte in einem Text überhaupt nicht richtig wahrnahm, sie sozusagen einfach übersprang. Und auf einer Party im Haus der Eltern seiner damaligen Freundin hatte ein exzentrischer Professor ihm einmal eine Karte mit dem Text FINISHED FILES ARE THE RESULT OF YEARS OF SCIENTIFIC STUDY COMBINED WITH THE EXPERIENCE OF YEARS gegeben und ihn aufgefordert zu zählen, wie oft der Buchstabe F darin vorkam. Er hatte drei übersehen, alle im Wörtchen ›of‹. Es hatte ihn ziemlich geärgert, derart vorgeführt zu werden – der Professor hatte sich ein bisschen zu sehr über Mos Fehler gefreut, so als hätte er im Alleingang das Klischee vom hochintelligenten Inder zerstört –, und er hatte die Karte jahrelang aufgehoben, teils um zu testen, ob seine Freunde dieselben Fehler machten (ja, machten sie), teils um sich immer wieder daran zu erinnern, dass man nicht sorgfältig und genau genug sein konnte.
Der springende Punkt hier war: Wenn man die kleinen Wörter wegließ – das ›ein‹, das ›kein‹ – blieben bloß die beiden Substantive. Architekt. Terrorist. Architekt-Terrorist. Genauso gut könnte er sich neue Visitenkarten drucken lassen. Und er hatte sich Gedanken darüber gemacht, andere Architekten könnten ihn für technikfeindlich halten.
Mo fing Lailas Blick auf und versuchte, ihr sein Unbehagen zu vermitteln. »Was meinst du?«, fragte er sie mit unglücklicher Stimme. Sie lehnte am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete ihn.
»Ich denke, die Kampagne wird viel Aufmerksamkeit erregen«, sagte sie beschwichtigend. »Und ich finde, sie positioniert dich genau richtig – als Amerikaner, als stolzen Amerikaner.«
Wie sehr er es in diesem Augenblick bereute, sich hilfesuchend an den Rat gewandt zu haben. Issam Malik kam ihm immer mehr wie ein schmieriger Verkäufer vor, und er verübelte es Laila, dass sie das anscheinend nicht sah oder nicht sehen wollte. Aber als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, brachte er nur ein »Wahrscheinlich muss ich mich immer noch daran gewöhnen, eine öffentliche Figur zu sein« heraus.
Malik zuckte die Schultern. »Was gibt es denn da groß zu gewöhnen?«
Laila hatte den ganzen Nachmittag über zu tun und anschließend noch ein Arbeitsessen. Es war schon spät, als sie endlich nach Hause kam, und sie schlief ein, bevor Mo mit ihr über die Anzeigenkampagne sprechen konnte.
Er selbst schlief so gut wie gar nicht. Stattdessen prägte er sich ihre wie einen Fächer ausgebreiteten schwarzen Haare ein, ihre vollen Lippen, die Sinnlichkeit, die sie ausstrahlte. Er wusste, dass er die Kampagne nicht durchziehen konnte und dass sie das nicht verstehen würde. Je näher der Morgen kam, desto unschmeichelhafter wurde das Licht, in dem er Laila sah. Mit jeder Stunde wurde sie in seinen Augen etwas weniger wundervoll, dafür aber unerbittlicher.
Ihre Wohnung lag im achten Stock, die Dächer der Nachbarhäuser schienen in der Luft zu schweben. Von der Straße unten drangen zu jeder Tages- und Nachtzeit die Geräusche von Sirenen und Hupen und Motoren nach oben, aber man sah nicht, wo sie herkamen, wie bei einem Fluss, der tief unten durch eine enge Schlucht rauscht. Das Rauschen wurde lauter; Laila schlug die Augen auf und lächelte ihn an. Er verzog nur kurz den Mund, mehr brachte er als Reaktion nicht zustande. Unter der Dusche seifte er ihr den Rücken ein, zog sie an sich, wölbte die Hände um ihre Brüste. Das laufende Wasser hätte alle eventuellen Geräusche übertönt, aber sie machte sich von ihm los.
»Mo, ich komme zu spät zur Arbeit.«
Erst als sie angezogen war, ihren Tee trank und dabei in einer Akte herumblätterte, fand er den Mut, das Thema anzusprechen.
»Laila, können wir über die Anzeigenkampagne reden?«
»Mmmm?«, murmelte sie, legte die Papiere aber erst beiseite, als er barsch sagte: »Ich will sie nicht machen.«
Jetzt hatte er ihre gebannte Aufmerksamkeit.
»Die Formulierung gefällt mir nicht. Zu sagen, dass ich kein Terrorist bin, stellt mich erst recht in einen Zusammenhang mit Terroristen.«
»Man stellt dich doch schon jetzt in diesen Zusammenhang, Mo, und zwar jedes Mal, wenn diese ganzen anderen Kampagnen im Fernsehen laufen. Und wir wissen nicht einmal, wer dahintersteckt, wer dafür bezahlt. Wir sind absolut machtlos – die Sender lachen nur über unsere Drohung, sie zu boykottieren, weil sie genau wissen, dass wir zahlenmäßig viel zu wenige sind. Du musst ihnen etwas
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