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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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weil er Muslim ist«, sprach sie weiter. »Ein Amerikaner hat unser Parlament in Dhaka entworfen. Er hieß ebenfalls Khan. Louis Khan. Und er hat unser Parlament gebaut.«
    Ihr Vater hatte sie hingebracht, als sie zwölf Jahre alt war, hatte ihr das massive, stoische Gebäude gezeigt, das aus dem Wasser aufragte, hatte sie nach innen geführt, damit sie sehen konnte, wie das Licht schräg einfiel, hatte sie über den weiten, feierlichen Rasen geführt, der Erholung von der Hektik der Stadt bot. Er hatte ihr von dem Amerikaner erzählt, der das alles entworfen hatte, und dass die Bewohner von Bangladesch es als das machtvollste Symbol ihrer neuen Demokratie sahen. Die Mängel dieser Demokratie waren teils der Grund dafür, dass Nasruddin und Inam und auch Asma in New York gelandet waren. Ihr Vater hatte gesagt, das Gebäude, das Khan entworfen habe, sei zu gut für die Politiker. Und doch währte seine Schönheit, seine Stärke, als wisse es nichts von all den gebrochenen Versprechen oder als glaube es, sie könnten immer noch wahr werden.
    »Wir waren dankbar für dieses Gebäude«, fuhr sie fort. »Wir sind es immer noch. Wir alle haben versucht, Amerika etwas zurückzugeben. Aber ich möchte auch wissen: mein Sohn – er ist Muslim, aber er ist auch Amerikaner. Oder ist er es nicht? Sagen Sie es mir. Was soll ich meinem Sohn sagen?«
    Empörung, gefährlich wie eine Säure, erfüllte sie, drohte überzulaufen und jeden im Raum zu verätzen.
    »Sie sollten sich schämen!«, stieß sie, zum Schluss kommend, mit gepresster Stimme hervor. Nasruddin ließ den Satz unübersetzt.

20
    A ls die Frau aus Bangladesch auf den Ausgang zuging, beugten sich Menschen längs des Gangs zu ihr herüber, um ihr ermutigende oder tröstende Worte zuzuraunen und ihr, oder zumindest ihrem Dolmetscher, die Hand zu schütteln. Der Anblick der beiden, die auf ihn zukamen, erinnerte Sean an ein Hochzeitspaar beim Verlassen der Kirche. Sie erreichten den Ausgang, an dem er herumstand, seit er seinen Vater auf dem Podium alleingelassen hatte. Er unterdrückte sein eigenes unerwartetes Bedürfnis, ihnen ebenfalls die Hand zu schütteln, und hielt ihnen stattdessen die Tür auf.
    »Danke«, sagte der Dolmetscher, allerdings ohne ihn dabei anzusehen.
    Während er der Frau im Kopftuch auf dem Podium zugehört hatte, hatte er an Zahira Hussain denken müssen. Dabei sahen die beiden sich aus der Nähe überhaupt nicht ähnlich. Diese Frau hier war kleiner und dunkler. Aufregung und Nervosität leuchteten auf ihrem Gesicht, aber darunter lagen Eigenschaften, die weniger flüchtig waren. Eine Entschlossenheit und Hartnäckigkeit, die ihn an seine Mutter erinnerten. Mit irgendeiner urtümlichen Gewissheit erhoben beide Frauen für ihre jeweiligen Söhne Anspruch auf die Gedenkstätte.
    Aber ihre Ansprüche waren nicht gleich, das durfte er nicht vergessen. Patrick, der heldenhaft versucht hatte, den zu kleinen, zu schnell abgelenkten Sean an seiner High School zu einem richtigen Football-Spieler zu machen, hatte ihm beigebracht, nach außen hin demonstrierte Sportlichkeit mit dem wesentlichen psychologischen Faktor insgeheimer Häme zu verbinden. Mitleid mit dem anderen Team zu haben, hatte Patrick ihm eingeschärft, würde seinen Willen, sie fertigzumachen, unterminieren, würde sich tief in ihn hineinfressen, bis in seine Hände hinein, so dass er anfangen würde, Spielzüge zu verschenken, ohne es zu wollen. Sean musste diese aufglimmenden Funken des Mitleids zertreten. Sein Herz der anderen Seite zuzuwenden, würde seine eigene schwächen.
    Als die beiden Bangladescher davongeeilt waren, ging Sean nach draußen. Es war fast Abend – sie hatten praktisch den ganzen Tag im Saal gesessen –, und der Himmel, an dem sich ein Sturm zusammenbraute, war asphaltgrau. Er würde seiner Familie erklären müssen, wieso er das Podium verlassen hatte, und im Geist ging er diverse Möglichkeiten durch. Dabei hatte er gehandelt, ohne vorher nachzudenken. Wie immer erfuhr er das, was er fühlte, erst durch das, was er tat. Irgendein seltsames Gemisch aus Bildern hatte sich seiner dort oben bemächtigt: Debbie, die ihm Spiegeleier auftischte, bevor sie vor dem MACC -Gebäude Beleidigungen schrie, Zahira, die hinter jenem Schreibtisch allmählich auftaute und ihn dann so fassungslos ansah, Eileen, in der einen Minute nichts als kalter Ingrimm, in der nächsten erfüllt von kindlichem Kummer. All diese Doppelungen. Er bekam niemanden mehr zu fassen, am wenigsten

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