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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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sie völlig verbrannt sind.«
    Sollten diese Worte sie verletzen? Verbrennungen waren für Muslime das Unvorstellbarste. Gott hatte verboten, seine Schöpfungen dem Feuer auszusetzen, so jedenfalls hatte Asma es gelernt. Wieso hatte Gott diesen Männern dann erlaubt, ihren Mann zu verbrennen – und dazu noch zu behaupten, ihn im Namen Gottes verbrannt zu haben? Wo würde Inams Seele hingehen? Würde er aus diesem Grund nicht ins Paradies gelangen können? Am nächsten Morgen, als sie die Mahmouds weggehen hörte, schlich sie zum Telefon und rief den Imam an. Es war leichter, ihre Fragen zu stellen, wenn sie ihn dabei nicht ansehen musste. Sie konnte sich vorstellen, wie seine Augen hinter der Brille zwinkerten, sah den spärlichen Bart, der sie immer an eine aufflackernde Flamme denken ließ.
    »Wieso musste mein Mann so leiden?«, fragte sie.
    »Weil es so geschrieben stand«, sagte er, wie sie es nicht anders erwartet hatte. Die Verbrennungen, die Inam vielleicht erlitten hatte, waren nichts im Vergleich zu den Qualen des Höllenfeuers, das ewig währte, fuhr der Geistliche fort. Wenn Inam gläubig gewesen war, konnte sie ganz beruhigt sein – dann war er jetzt im Garten des Paradieses. Sein Schmerz hier war nur vorübergehend gewesen, seine Seligkeit würde ewig währen.
    Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Inam in den Paradiesgarten aufgenommen worden war. Er gab Zakat. Er fastete im Ramadan. Er betete, vielleicht nicht immer fünfmal am Tag, aber so oft er konnte. Am Morgen seines Todes hatte sie mit geschlossenen Augen im Bett gelegen und so getan, als schlafe sie noch, zu träge und schwerfällig, um aufzustehen und ihm sein Frühstück zu machen. Sollte er das kalte Dal essen, das sie am Abend zuvor zubereitet hatte. Sie hatte das Rascheln gehört, als er sich im Gebet verneigte. Er war gläubig gewesen.
    Doch das Wissen, dass er ins Paradies eingegangen war, erfüllte sie nicht mit dem Frieden oder der Freude, die ein Zeichen der Unterwerfung unter Gottes Willen waren. Voller Angst davor, was die Enge in ihrer Brust bedeuten mochte, betete sie um Frieden.
    »Wieso musste Inam sterben?«, fragte sie den Imam, obwohl sie wusste, dass es ihr nicht zustand, diese Frage zu stellen. Sie wollte ihn unbedingt am Telefon halten, das Gespräch so lange wie möglich hinziehen. Der Imam zitierte eine Sure: »Kein Mensch kann sterben ohne den Willen Allahs, wie es geschrieben steht.« Gott war alldurchdringend, allwissend, sagte er, »Schöpfer, Eigner und Herr des Universums. Wir können seine Zerstörung nicht in Frage stellen: Wir sind seine Geschöpfe, mit denen er tun und lassen kann, was er beliebt.«
    Seine Worte – Worte, die sie in der ein oder anderen Form ihr ganzes Leben lang gehört hatte – ließen Gott klingen wie einen reichen Mann, dem es freistand, seine Dienstboten nach eigenem Gutdünken zu belohnen oder zu bestrafen. Dieser Gedanke beschämte sie, und sie bat Gott um Verzeihung, ließ aber nicht locker mit ihren Fragen. Die Männer, die Inam getötet hatten, hielten ihre Tat für einen Akt der Hingabe, der sie geradewegs ins Paradies bringen würde, sagte sie zum Iman. Das jedenfalls sagten alle. Sie glaubten, für Gott zu kämpfen, und der Koran versprach jenen, die das taten, eine große Belohnung. Wie konnte dasselbe Paradies Platz haben für diese Männer und für ihren Mann?
    »Gott weiß es«, sagte der Imam. Aber ich will es auch wissen, dachte sie. Der Glaube war für sie immer wie ein unzerstörbares Gebäude gewesen. Jetzt hatte sie einen lockeren Stein entdeckt, der das ganze Gebilde zum Einsturz bringen konnte, wenn man ihn herauszog. Ihre Hand verharrte in der Nähe des Steins, verlockt, verängstigt.
    Und doch glaubte sie, dass Gott, der alles plante, ihr Schicksal bestimmen würde. Vielleicht hatte er es schon getan. Sie rechnete damit, ausgewiesen zu werden; es geschah nicht. Sie hatte vorgehabt, das Land zu verlassen, wenn Inams Leichnam gefunden wurde; er wurde nicht gefunden. Eines Tages erkannte sie, dass das Warten zu einem Vorwand geworden war. Indem sie sich an den dünnen Faden der Hoffnung klammerte, dass Inams Leiche doch noch gefunden würde, konnte sie sich gleichzeitig auch an die imaginäre Zukunft klammern, die Inam für ihren ungeborenen Sohn gesponnen hatte. Nach Abschluss seines sechsjährigen Studiums an der Universität von Chittagong hatte Inam in Bangladesch keine Anstellung finden können, es sei denn, er bezahlte dafür. Da auf jede freie Stelle im

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