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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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bringen.
    »Vierhundert«, murmelte Jacob. Die Tausender mussten nicht ausgesprochen werden. Es war ein ziemlicher Haufen Geld, und Paul hoffte halb, dass Jacob immerhin schlau genug gewesen war, den Betrag aus Rache für die Kränkung zu erhöhen. Er musste an Mohammad Khan denken, und sein Sohn schnitt bei dem Vergleich nicht gut ab.

8
    W ie konnte man tot sein, wenn man gar nicht existierte? Von den vierzig Menschen aus Bangladesch, die in den Tagen nach den Anschlägen bei ihrem Konsulat als vermisst gemeldet wurden, waren nur sechsundzwanzig legal im Land. Asma Anwars Mann gehörte nicht zu ihnen. Diejenigen, die keine Dokumente hatten, konnten bedauerlicherweise auch nicht gezählt werden, beharrten die Konsulatsmitarbeiter. Das Konsulat konnte Illegale nicht unterstützen, auch nicht posthum. Dass Inam tot war, tue ihnen sehr leid, sagten sie, und der Zusatz, »falls es ihn denn tatsächlich gab«, kam ihnen ebenso glatt über die Lippen wie das Inschallah , aber es war ihnen unmöglich, die Leiche, falls sie denn gefunden wurde, in die Heimat zurückzuführen. So wie sie der Witwe keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen konnten.
    Der Subunternehmer, der Inam als Reinigungskraft beschäftigt hatte, argumentierte ähnlich: Es gab keinen Inam Anwar, da er die Arbeit unter falschem Namen und gefälschter Sozialversicherungsnummer aufgenommen hatte. Er selbst hatte auf diese Vortäuschung von Legalität bestanden und benutzte sie nun als Vorwand, Asma jede Hilfe zu verweigern. »Er hat doch echte Steuern gezahlt«, sagte sie immer wieder zu Nasruddin, dem »Bürgermeister« von Little Dhaka, wie Kensington, das Viertel in Brooklyn, in dem sie lebte, auch genannt wurde, obwohl die meisten der Bewohner von der Insel Sandwip und nicht aus Dhaka stammten. »Hat das denn gar nichts zu bedeuten?«
    Nasruddin schüttelte nur den Kopf. Er lebte schon länger in Brooklyn als Asma mit ihren einundzwanzig Jahren auf der Welt war. In dieser Zeit, sagten die Leute, war sein Gesicht kaum gealtert, dafür aber war sein Bauch immer dicker und dicker geworden, wie bei einer sehr langsam fortschreitenden Schwangerschaft. Er verdiente sein Geld als Vorarbeiter eines Trupps von Landsleuten, die rund ein Dutzend rötlichbrauner Sandsteinhäuser in Brooklyn, die einem irisch-amerikanischen Metzger gehörten, warteten und in Schuss hielten. Aber den größten Teil seiner Energie verwendete er darauf, sich um die Mitglieder seiner Gemeinde zu kümmern, ihnen den Weg zu ebnen bei der Beantragung von Green Cards und Gewerbeerlaubnissen, im Umgang mit Schulen und Krankenhäusern, bei Immobilienverhandlungen, Heiraten, Scheidungen, Verhaftungen und Bußgeldern wegen Verunreinigung öffentlicher Gehwege oder Parkens in zweiter Reihe. Sein Englisch war ausgezeichnet, seine Integrität unangezweifelt. Inam hatte erst für ihn gearbeitet und sich unter seinen Fittichen sicher fühlen können. Nasruddin hatte ihm dringend davon abgeraten, den Job in Manhattan anzunehmen – Manhattan war wie ein anderes Land. Aber Asma hatte ihn dazu gedrängt, fest davon überzeugt, dass die Arbeit in den Türmen, so viel höher als die Sandsteinhäuser Brooklyns, ein Symbol dafür war, dass auch sie und Inam höher aufsteigen würden. Wie maßlos eitel sie sich ausgemalt hatte, wie diese Neuigkeit das Meer überquerte. Nasruddin erinnerte sie nie an ihr katastrophales Fehlurteil. Das brauchte er auch nicht.
    Er war es gewesen, der ihr die Nachricht überbracht hatte; vielleicht war er deshalb zu ihrem Beschützer geworden. Im achten Monat schwanger, hatte sie in ihrem Zimmer ein Nickerchen gemacht, als sie das aufgeregte Klopfen an der Tür ihrer Vermieter, der Mahmouds, hörte. Mrs Mahmoud, die den ganzen Vormittag am Telefon gehangen hatte, legte den Hörer ab, watschelte zur Tür und stand einem Nasruddin gegenüber, der noch seinen Arbeitsoverall trug und hörbar nach Luft schnappte, weil er sich so beeilt hatte.
    Inzwischen war Asma schwerfällig aus ihrem Zimmer gekommen.
    »Hat Inam angerufen?«, wollte Nasruddin wissen.
    Mrs Mahmoud war nicht nur die Besitzerin des Zimmers ohne Aussicht, das sie gemietet hatten, sondern auch des Telefons, das sie mitbenutzen durften. »Nein«, sagte sie und warf über ihre Schulter hinweg einen Blick auf die Schränke, als könne Inam sich dort versteckt halten.
    Nasruddin sah Asma an und sagte viel zu förmlich: »Bitte Platz zu nehmen.« Er wartete, bis sie auf dem Sofa saß und Mrs Mahmoud ihr einen

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