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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft Hunderte von Bewerbern kamen, gingen die Positionen an den, der das meiste dafür bot. Dazu war Inam nicht bereit gewesen, aber selbst wenn er es gewesen wäre, wie hätte er das Geld verdienen sollen, um sich einen Job zu kaufen, wenn er keinen Job hatte? Für ihren Sohn würde das alles anders sein, hatte Inam immer wieder gesagt. Und Asma beschloss, dafür zu sorgen, dass sein Traum wahr wurde. In Kensington gab es so viele Menschen aus Bangladesch, dass sie alles, was sie zum Leben brauchte – Nahrung, Reinigungsmittel, Medikamente, Kleidung oder was auch immer –, besorgen konnte, ohne auch nur ein englisches Wort sprechen zu müssen (und ohne auch nur einen einzigen Schritt tun zu können, der nicht registriert und auf Bengali kommentiert wurde). Aber ohne Geld konnte sie nicht bleiben, und die kleinen Summen, die ihr zugebilligt worden waren, würden nicht lange für sie und Abdul reichen.
    Gott plant alles. Eines Tages brachte Nasruddin sie zu einer Anwältin, die Asma zu einer Entschädigung der Regierung verhelfen wollte. Alle legalen Angehörigen der Toten erhielten Entschädigungen, folglich gab es keinen Grund, weshalb Asma nicht auch eine bekommen sollte. Wenn sie wirklich in Amerika bleiben und ihren Sohn hier aufziehen wollte, sagte Nasruddin, hatte sie keine andere Wahl.
    Die Anwältin, sagte er, sei iranischer Abstammung und muslimischen Glaubens, aber sie war völlig anders als alle muslimischen Frauen, die Asma kannte. Anders als Asma trug sie ihre dunklen Haare unverhüllt, der Rock ihres knappen türkisfarbenen Kostüms reichte gerade bis an ihre Knie, ihre hellhäutigen Beine waren nackt, ihre Schuhe, die zum Kostüm passten, hatten sehr hohe Absätze und ihre Lippen waren pflaumenfarben geschminkt. Asma hätte ihr gern den ganzen Tag lang Fragen gestellt, von denen die meisten nichts mit ihrem konkreten Anliegen zu tun hatten, aber Laila Fathi hatte für so etwas keine Zeit. Sie sprach sehr schnell, ihre Telefone klingelten ununterbrochen, ihr Terminkalender, der offen auf dem Schreibtisch lag, quoll über vor Eintragungen.
    Asma selbst hatte nie einen Kalender besessen, hatte nie einen gebraucht. Auch nach den Anschlägen verließ sie sich einfach darauf, dass Nasruddin einen Tag vorher oder auch am selben Morgen anrief und ihr sagte, dass sie zu diesem oder jenem Termin mussten. In Sandwip wurde der Lauf der Zeit anhand von Ereignissen gemessen, nicht anhand von Daten, und so funktionierte auch ihre Erinnerung. Was zählte, war die Sommerreisernte, die Herbstreisernte, die Winterreisernte, die ersten Mangos, der Beginn der Schulferien, religiöse Feiertage, der sichelförmige Mond, der Anfang und Ende des Ramadan verkündete. Die beiden großen Feiertage, Opferfest und Fastenbrechen. Die Wahlperiode, immer eine Zeit der Gewalt. Zu Hause galt alle Planung nur unter Vorbehalt. Verabredungen wurden getroffen, oft aber nicht eingehalten. Schlechte Straßen, ein platter Rikscha-Reifen, kein Benzin oder schlicht und einfach ein Gespräch, das sich in die Länge zog, waren der Grund dafür, dass Leute zu spät oder gar nicht kamen. In Amerika war Zeit Gold, in Bangladesch rostiges Wellblech.
    Laila war wie ein verwirrender Traum, weswegen es Asma schwerfiel, sich auf das zu konzentrieren, was sie, übersetzt durch Nasruddin, sagte. Nach monatelangen Debatten hatten sich die Politiker dazu durchgerungen, auch illegale Ausländer zu entschädigen, die Angehörige verloren hatten. Nasruddin und Laila wollten, dass Asma den Vertreter der Regierung aufsuchte, der diese Gelder verteilte. Dadurch würde sie Abdul die Zukunft sichern, die Iman sich für ihn gewünscht hatte.
    Was? Sie sollte sich freiwillig in die Hände der Regierung begeben? Waren die beiden verrückt geworden? Sie konnte einfach nicht glauben, dass irgendein Land derart großzügig sein konnte.
    »Es muss ein Trick sein«, sagte Asma. »Ein Versuch, uns Illegale zu finden und dann auszuweisen.«
    Laila sagte, die Regierung habe versprochen, die Informationen, an die sie im Zug dieses Verfahrens gelangte, nicht an die Einwanderungsbehörde weiterzugeben. »Glauben Sie mir, ich würde Sie niemals irgendeiner Gefahr aussetzen«, sagte sie. »Das bedeutet jedoch nicht, dass man Sie nicht ausweisen wird, wenn Sie auf andere Weise auffallen – beispielsweise durch eine Verhaftung. Also sollten Sie jeden Kontakt mit der Polizei tunlichst vermeiden.«
    »Würde die Regierung denn

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