Der amerikanische Architekt
Fußschemel aus Plüsch unter die geschwollenen Füße geschoben hatte.
»Die Gebäude sind eingestürzt«, sagte er, und sie wusste alles.
In den anschließenden Tagen und Wochen, die sie nur wie durch einen Nebel wahrnahm, machte Asma Angaben über Inams Arbeit, seine Arbeitszeiten, seine Gewohnheiten, seine Herkunft. Sie sprach mit Konsularbeamten, Ermittlern, die Inams Arbeitgeber angeheuert hatte, der Polizei, dem FBI und dem amerikanischen Roten Kreuz. Sie empfing all diese Besucher und vergaß sie prompt wieder, konzentrierte sich ausschließlich auf eine innere Welt sanfter, unvorhersehbarer Rhythmen. Sie streichelte zwanghaft ihren angeschwollenen Bauch, maß ihr Leben von einem kleinen Tritt zum nächsten. Nie hatte sie so inbrünstig gebetet, nie hatte sie den Gegensatz zwischen der Ruhe im Gebet und der Unruhe überall sonst derart stark empfunden. Ihr Bauch war viel zu dick, als dass sie sich hätte verneigen können, aber sie vertraute darauf, dass Gott ihre Verneigungen spürte.
Wie Inam war auch Asma illegal in Amerika. Diese ganze offizielle Aufmerksamkeit würde, da war sie sicher, mit ihrer Ausweisung enden. Darauf gefasst, klammerte sie sich nur an zwei Hoffnungen: dass es erst nach der Geburt passieren würde, damit ihr Kind die amerikanische Staatsbürgerschaft bekam, und dass man Inams Leichnam fand, damit sie alle drei gemeinsam nach Hause fliegen konnten. In der Zwischenzeit lebte sie von der Unterstützung des Witwen-und-Waisen-Fonds der Moschee, für den Inam immer gespendet hatte, und von der Großzügigkeit der Mahmouds. »Du kannst so lange bleiben, wie du willst, umsonst«, sagte Mrs Mahmoud, wohl wissend, dass Asma schon sehr bald nach Bangladesch zurückgehen würde.
Als das Baby da war, betrachtete Asma ihren kleinen Sohn und suchte in ihm nach Inam. Alle sagten, er sei da, in seinem Sohn, »eine exakte Kopie«, wie Mrs Mahmoud es ausdrückte, als sei er in einer Textilfabrik nachgeschneidert worden. Doch Inams Gesicht war zwar sanft, aber auch lang und eher fahl gewesen, während das Baby die Lebhaftigkeit von Asmas Vater besaß: die großen Augen, die dunklen Brauen, das runde Gesicht, den warmen Farbton der Haut. Selbst seine Armbewegungen, noch reine Reflexe, erinnerten sie an ihren Geschichten erzählenden, gestikulierenden Vater. Sie suchte noch intensiver nach Inam, hatte das Gefühl, dass es wichtig war, ihn in seinem Sohn zu finden. Eine exakte Kopie.
Sie nannte ihn Abdul Karim, Diener des überaus Großzügigen, und hoffte, dass Gott ihn beschützen und behüten würde. Nachts kuschelte sie sich mit ihm in einer nur unzureichend beheizten Wohnung unter die dünnen Decken und flüsterte ihm Geschichten zu. Sie erzählte ihm, sie selbst habe ihren Eltern Inam als Bräutigam vorgeschlagen, nachdem ihre Unart, bei Treffen mit potenziellen Schwiegereltern den Mund nicht halten zu können, drei mögliche Eheschließungen zunichtegemacht hatte. Inam war sechs Jahre älter als sie, seine Familie ärmer als ihre, aber sie konnte nicht wählerisch sein. Sie erinnerte sich von früher vage daran, dass er ein freundliches Gesicht hatte. Und er lebte in Amerika, wo sie ebenfalls leben wollte. Sie teilte ihrem Vater mit, dass sie anders als die meisten Frauen nach der Heirat nicht in Sandwip bleiben würde, schwanger, unter der Fuchtel ihrer Schwiegereltern, um darauf zu warten, dass ihr Mann einmal im Jahr nach Hause kam. Sie würde zu ihm gehen. Zu ihrer Überraschung war Inam einverstanden.
Wenn sie miteinander telefonierten – er in Brooklyn, sie noch in Sandwip –, war er so still, dass sie selbst die Stille füllen musste. Ihre Ehe war genauso gewesen. Aber sie vermisste seine Stille. Sie hatte nicht gewusst, wie tröstlich sie war.
Ein goldenes Siegel, schwarze Lettern: die Sterbeurkunde. Das Konsulat von Bangladesch erkannte Inam als einen der ihren an und gewährte Asma eine kleine Zuwendung. Mit Hilfe eines jüdischen Anwalts, der sich der Sache derer ohne Dokumente angenommen hatte, gelang es Nasruddin, den Subunternehmer, für den Inam gearbeitet hatte, dazu zu zwingen, ebenfalls eine kleinere Summe herauszurücken. Drei Monate vergingen, dann sechs, ohne eine Leiche oder auch nur einen Teil davon. Abdul lernte, sich allein umzudrehen, und die unausgesprochene Frage, wann Asma nach Hause zurückkehren würde, hing immer deutlicher im Raum. »Es heißt, dass manche der Toten vielleicht nie gefunden werden«, sagte Mrs Mahmoud eines Tages kurz angebunden. »Weil
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