Der amerikanische Architekt
der Jury, wurde ausgewählt, weil ihr Studium an einer Eliteuniversität und die Tatsache, dass sie eine beachtliche Kunstsammlung besaß, gut zu den anderen Juroren passten. Die öffentliche Beteiligung – die Anhörung, die Sichtung schriftlicher Kommentare aus der breiteren Bevölkerung, die Unterschrift der Gouverneurin – war in das Prozedere hineingeschrieben worden, um der Öffentlichkeit die Illusion zu lassen, gehört zu werden, obwohl sie in Wahrheit gelenkt und geleitet werden würde. Zwar konnten nominelle Veränderungen am Entwurf des Gewinners vorgenommen werden, aber im Prinzip würde die Wahl der Jury stehen und von der Gouverneurin abgesegnet werden.
Jetzt jedoch war das Gezänk hier, in einer unvorhergesehenen Größenordnung, und Bitman war sichtlich entschlossen, davon zu profitieren. Sie schrieb die Regeln nicht um, dachte Paul, sondern legte sie mit einer neuen, zynischen Buchstäblichkeit aus.
Ihre Abkühlungsphase war vorbei. Sie trat von ihrem Crosstrainer herunter, forderte Paul mit einer Geste auf, ihr das Handtuch zu reichen, das über seinem Sessel hing, und küsste ihn zum Abschied flüchtig auf die Wange.
Alyssa Spier starrte auf ihre allererste Kolumne und sah sich selbst als neue Carrie Bradshaw: sah sich mit zerzausten goldenen Locken, eine Zigarette in der Hand, schmal und zierlich, in einem verführerischen Tanktop, auf dem Bett sitzen und den Monitor ihres Laptops mit geistreichen Kommentaren füllen. Aber ihr Schlafzimmer roch wie immer nach den penetranten Ausdünstungen der zahlreichen indischen Restaurants in ihrer Straße. Curry Hill wurde das Viertel oft genannt, sie selbst nannte es Curryhölle. Aber mehr noch als der Geruch ließ ein Blick in den Spiegel ihre Fantasie platzen. Statt eines verführerischen Tanktops trug sie eine labberige Trainingshose und ein T-Shirt in Größe XXL , das sie 1992 bei einem Bruce Springsteen-Konzert gekauft hatte (war das wirklich schon so lange her? War sie wirklich schon so alt?) Sie hatte ein paar Pfund, also gut, mehr als nur ein paar Pfund, mehr auf den Rippen als Carry, möglicherweise weil sie die Zigaretten durch tütenweise Schokokekse ersetzt hatte. Ihre Haare waren nicht frisch gesträhnt, geschweige denn frisch gewaschen, und sie litt unter einem ausgewachsenen Kater. Die gestrigen Drinks mit Chaz, ihrem neuen Chefredakteur, hatten sich mehr wie eine Schinderei als wie eine Feier angefühlt. Chaz, der von Gin allein zu leben schien, hatte vier Martinis in sich hineingekippt und die leeren Gläser mit der Exaktheit der Rockettes vor sich aufgereiht. Sie selbst hatte trotz seines Gestichels nach zweien das Handtuch geworfen, aber es waren trotzdem zwei zu viel auf praktisch leeren Magen gewesen. Die paar Salzbrezeln, die sie in sich hineinstopfte, wenn er gerade einmal nicht hinsah, erwiesen sich als unzulängliche Alkoholblocker. Prompt hatte sie sich in der Nacht mehrmals übergeben. Und dann waren da noch die Themen, ihre und die von Carrie. Sexy zu klingen musste leicht sein, wenn es um Sex und Singlefrauen ging. Terrorismus dagegen, oder vielmehr »das muslimische Problem«, wie Chaz es ausgedrückt hatte, bot sich nicht gerade für eine verführerische Schreibe an. Aber was blieb ihr anderes übrig, als loszulegen? Sie war nun einmal sie selbst, obwohl sie sich dieser Tage nicht so sicher war, wer genau das eigentlich war.
Vor weniger als einer Woche war sie nur eine einfache Reporterin gewesen, die sich die Hacken nach einem Knüller ablief. Sie war hartnäckig, was ihr den Tipp mit dem muslimischen Gewinner eingebracht hatte, aber sie war nur eine von vielen – in dieser Hinsicht machte sie sich keine Illusionen. Sie hängte sich an Anwälte, Assistenten von Politikern, Fahrer von Limousinen und einfach jeden, der möglicherweise etwas wissen könnte, verlieh ihrer Stimme einen schmeichlerischen Klang und setzte einen wissenden Gesichtsausdruck auf, um aus ihnen herauszuholen, was immer sie konnte. Sie rief Informanten an, um mit ihnen herumzualbern und den neuesten Tratsch auszutauschen, auch wenn keine Neuigkeiten zu haben waren, gab ihnen das Gefühl, ihre Freundin zu sein, oder redete sich selbst ein, sie seien ihre Freunde.
Aber jetzt war sie eine KOLUMNISTIN – sie stellte sich das Wort immer in Großbuchstaben vor. Chaz war mitten in der ganzen Aufregung um ihre Story mit dieser Idee angekommen. Ihr eine Kolumne zu geben war eine Möglichkeit, den Knüller auszubauen, so viel aus ihm und aus ihr
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