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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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herauszuholen, wie nur irgend möglich. Ihr Ego sprang sofort auf die Idee an. Sie war sogar schon fotografiert worden, und das Foto schmeichelte ihr Gott sei Dank mehr als das Bild, das sie an diesem Morgen im Spiegel sah. Jetzt brauchte sie nur noch die richtigen Worte.
    Am gestrigen Abend hatte Chaz ihr ein paar Tipps gegegeben. Die wichtigste Eigenschaft einer guten Kolumnistin, hatte er gesagt, war absolute Sicherheit. »Kein ›er hat gesagt, sie hat gesagt‹, sondern einfach nur ›Ich sage‹.« Sie musste den Eindruck erwecken, alle Antworten zu kennen. »Die Leute wollen, dass man ihnen sagt, was sie denken sollen«, schärfte er ihr, seinen Martini süffelnd, ein. »Oder sie wollen gesagt bekommen, dass das, was sie denken, richtig ist.«
    Das Problem war, dass sie keine Lust hatte, den Leuten zu sagen, was sie denken sollten. Sie wollte herausfinden, was sie noch nicht wussten. In Gedanken schweifte sie immer wieder zurück zu jener Versammlung der Hinterbliebenen in der High School, wo sie Claire Burwell gegen sich aufgebracht hatte, weil sie ihr zu sehr zusetzte. Alyssa wusste, dass sie manchmal unbeabsichtigt zu weit ging und den Leuten damit Angst machte. Sie merkte nie, wann es so weit war, sah nur den Trümmerhaufen, der anschließend zurückblieb.
    Dieser Gedankengang führte sie, wie so oft, zu Oscar. Er war der beste Polizeireporter der News , vielleicht sogar der ganzen Stadt, überraschend elegant für einen kleinen, untersetzten Mann mit eckiger, schwarzgeränderter Brille und ein paar spärlichen Haarbüscheln. Jeden Tag komponierte er sich selbst: gebügeltes Hemd, schwarze oder unauffällig karierte Weste, schicke Krawatte, perfekt geschnittene Hose mit Aufschlag, Schnürschuhe, die immer auf Hochglanz poliert waren. Er glaubte an Fitnessstudios, hatte eine große Nase und ständig zwinkernde Augen, trat aber auf, als sei er sich seiner Unattraktivität nicht im Geringsten bewusst. Er und Alyssa sprachen dieselbe Sprache, ein kaltschnäuziges Patois, das nur Reportern eigen war. Ein einstürzendes Gebäude war eine »großartige Story«, ein Brand, der Familien durcheinanderwirbelte wie Ascheflocken, »der größte Spaß, den sie je hatten«. Ein Außenstehender, der sie zufällig hörte, wäre wahrscheinlich schockiert gewesen über ihre Gefühlskälte. Aber diese Storys waren ihre Fundgruben, nicht ihre Tragödien. Alyssa hatte diese Verbundenheit für mehr gehalten, und eine Zeitlang hatte Oscar dabei mitgespielt. Dann hatte er sich immer mehr zurückgezogen, und das hatte höllisch wehgetan. Eine neue Redaktion, ein Neuanfang: es würde einfacher sein, ihn nicht mehr ständig zu sehen.
    Wie eine zerkratzte Schallplatte – es deprimierte sie, dass sie alt genug war, um Vinyl als Vergleich heranzuziehen – hing sie bei der Szene hinter der High School-Bühne fest. Eine gewisse Energie, verstohlen, geladen, zornig, hatte zwischen Claire Burwell und Eileen Gallagher vibriert. Alyssa konnte sie geradezu spüren, während sie sie zum betreffenden Zeitpunkt, als sie hinter Claire hergerannt war, nicht gespürt hatte. Sie war nicht einmal auf den Gedanken gekommen, zu Seans Mutter zurückzugehen. »Eileen«, schrieb sie auf einen herumliegenden Umschlag und kästelte den Namen ein. Sie fragte sich, in welche Kirche Mrs Gallagher ging.
    Zurück zu ihrer Kolumne. »Das Problem«, tippte sie, hielt kurz inne und fuhr fort: »mit dem Islam …« Sie hielt erneut inne, dieses Mal, um sich einen Schokokeks zu genehmigen. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe, die Tragweite der Herausforderung – ihre erste Story in der ersten Person singular! –, waren Grund genug, gegen ihr Gebot »kein Zucker vor zwölf Uhr mittags« zu verstoßen. Außerdem hatte sie nichts anderes zu essen im Haus.
    Sie kaute und schluckte. Ihr Magen krampfte sich mit Gewalt zusammen. Der Islam war gewaltsam. Er hielt es für akzeptabel, unschuldige Menschen zu töten. Er hasste Frauen. Er hasste andere Religionen. Er war so hassenswert wie ihre Übelkeit. Gleich würde sie sich schon wieder übergeben müssen.
    »Das Problem mit dem Islam ist der Islam.«
    Sie hatte ihren ersten Satz.
    Am Tag nach der Pressekonferenz versuchte Mo so zu tun, als wäre nichts Besonderes vorgefallen, und ging wie gewohnt zur Arbeit. Aber statt gleich nach oben ins Büro zu fahren, trieb er sich eine Weile in der Nähe der Aufzüge herum, weil er hoffte, Thomas zu sehen, obwohl er gleichzeitig Angst davor hatte. Thomas war bestimmt stinksauer,

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