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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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und ging nie wieder zurück. Entsetzt über ihr Verhalten suchte Inam Mr Sanjeev auf, um sich bei ihm zu entschuldigen, konnte Asma aber nie dazu überreden, es ebenfalls zu tun.
    Im Laden angekommen, zeigte sie Mr Chowdhury das Loch im Reissack.
    »Der Trick ist uralt«, sagte er barsch. »Sie haben selbst eine Tasse Reis herausgenommen und kommen jetzt zurück und sagen, der Sack ist kaputt, und wollen einen neuen. Aber das funktioniert nicht. Nicht bei mir. Ich kenne alle Tricks.«
    Fast sprachlos vor Zorn zerrte sie ihn auf die Straße und zeigte ihm den herausgerieselten Reis, den die Füße von Passanten, der Wind und die Vögel bereits verstreuten. Einen halben Block weit folgten sie der Spur, bis er fragte: »Und diese Spur führt den ganzen Weg zu Ihrem Haus?«
    Sie nickte energisch, erleichtert darüber, dass er verstand.
    »Närrin«, sagte er. »Träumerin. Wieso haben Sie nicht früher gemerkt, dass der Sack kaputt ist?« Dann beschimpfte er sie ausgiebig und beschuldigte sie, beim Gehen die Zeitung gelesen zu haben, statt auf den Reis zu achten.
    »Ich habe nicht damit gerechnet, dass er weglaufen würde«, sagte sie, was ihn nur noch mehr aufbrachte.
    Mr Chowdhury weigerte sich, ihr einen neuen Sack zu geben, und sie zürnte auf dem ganzen Nachhauseweg vor sich hin und wünschte, Inam wäre noch am Leben, um sich für sie einzusetzen, obwohl sie in Wahrheit gar nicht wusste, ob er das getan hätte. »Vielleicht hast du den Sack selbst zerrissen, als du ihn in den Karren gelegt hast«, hätte er vielleicht gesagt, nicht um sie ins Unrecht zu setzen, sondern nur um zu sagen, dass so etwas jedem passieren konnte. Für ihn war eine Tasse Reis keine Auseinandersetzung wert. Für sie hingegen jedes einzelne Korn.
    Und doch fügte sie sich Mr Chowdhury in der Reisangelegenheit und ließ sich sein Verhalten gefallen. Als Frau blieb ihr nichts anderes übrig.
    »Paul«, japste die Gouverneurin.
    Sie war auf ihrem Crosstrainer, angetan mit einem schwarzen Trainingsanzug aus Velours. Es war Viertel nach sieben, eine Zeit, zu der Paul lieber die sanfte rückseitige Hügellandschaft der schlafenden Edith betrachtet hätte. Zum Frühstück ins New Yorker pied-à-terre der Gouverneurin bestellt, hatte Paul sich wie üblich in Anzug und Fliege geworfen. Ein Assistent bot ihm ein Glas Orangensaft an und deutete auf einen Sessel.
    Die Gouverneurin sah sich eine Videoaufnahme von sich selbst an. »Auch wenn Mr Khan kein Sicherheitsrisiko darstellt – und es gibt keinen Grund, das anzunehmen –, weist uns die Tatsache, dass er es geschafft hat, diese anonyme Ausschreibung zu gewinnen, darauf hin, dass radikale Islamisten unsere demokratischen Institutionen und unsere Offenheit ausnutzen könnten, um ihre eigenen Pläne voranzutreiben«, sagte sie in einem CNN -Interview vom Vortag. Die echte Gouverneurin nickte im Takt ihrer eigenen Worte. Das Auf und Ab ihrer Beine erinnerte Paul an die stampfenden Schaufelräder eines Flußdampfers. »Als Frau kann ich angesichts dieser Gefahr nicht schweigen. Denn wenn die Islamisten hier bei uns die Macht übernähmen, wären es wir Frauen, die den Verlust unserer Freiheit am härtesten zu spüren bekämen. Wie Sie vielleicht wissen, Wolf, habe ich letztes Jahr zusammen mit einer Delegation von Politikerinnen einen Besuch in Afghanistan …«
    »Geraldine, Sie überraschen mich«, sagte Paul fast gegen seinen Willen. Er kannte sie seit über zwanzig Jahren, hatte ihren verstorbenen Mann sogar noch länger gekannt. Als Joseph Bitman starb und seiner Frau sein Vermögen und seine bislang unerfüllten politischen Ambitionen hinterließ, hatte Paul sie als einer der Ersten mit Überzeugung unterstützt. Er hatte ihr von ihrer ersten Wahlkampagne an bis an die Spitze des Bundesstaates zur Seite gestanden, und zwar nicht nur aus Freundschaft. Ihre Tatkraft und ihr glasklarer Verstand hatten ihn ebenso beeindruckt wie ihre Art, sich ihr eigenes unberechenbares Zentrum von rechts und links zusammenzuschustern. Sie war New Yorks erste Gouverneurin, was sie an andere »erste« Positionen denken ließ. Sie wollte die Präsidentschaft.
    »Lesen Sie meine Abschlussarbeit am Smith College, Paul« – ihr Atem ging jetzt schwerer, die Beine bewegten sich angestrengter: Die Maschine hatte in einen höheren Gang geschaltet. »Dann wären Sie vielleicht nicht ganz so überrascht. ›Hegemoniale Hierarchien innerhalb der Frauenbewegung.‹ Ich war besorgt über die Unterdrückung von Frauen

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