Der amerikanische Architekt
Dort können Sie alles loswerden, was Sie auf dem Herzen haben. Aber Sie sollten darauf achten, Ihre Einwände nicht ganz so – so drastisch – zu formulieren.«
»Nicht ganz so ehrlich, meinen Sie? Wir müssen eher noch drastischer werden. Was für einen Zweck hat denn eine Anhörung, wenn wir nicht sagen können, was uns auf der Seele brennt.«
»Sie können alles sagen, was Sie wollen, aber auf zivilisierte Art und Weise, auf eine Art und Weise, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Khan ebenso Amerikaner ist wie Sie. Er hat Rechte, unter anderem auch das Recht, nicht wegen seiner Religion verunglimpft zu werden.«
»Und was ist mit meinen Rechten? Den Rechten der anderen Angehörigen? Den Rechten der Opfer? Zählen die etwa nichts?« Sean hatte die Stimme erhoben. Andere Gäste wandten sich zu ihnen um. Sean war es recht. Sollte es ruhig Zeugen geben. »Was ist mit den Rechten meiner Eltern? Haben Sie eine Ahnung, wie sie unter alldem leiden?«
»Gefühle sind etwas anderes als legale Rechte.«
»Ich sage Ihnen, dass diese Sache meinen Eltern das Herz bricht, und Sie erzählen mir was von Rechten?«, explodierte Sean. Paul stellte Augenkontakt zu dem Mann an der Kasse her und hob den Zeigefinger, ein Geheimzeichen, das entweder »Rufen Sie die Polizei« oder »Die Rechnung bitte« bedeuten konnte.
»Und was ist mit richtig und falsch?«, wollte Sean mit kaum verringerter Lautstärke wissen. »Was ist damit? Wenn Sie uns bei der Anhörung einen Maulkorb anlegen wollen, werden wir einen anderen Weg finden zu sagen, worum es uns geht.«
»Wie Sie wollen«, sagte Rubin. Sein gleichmütiger Ton ließ Seans Geschrei kindisch wirken, sein abfälliger Blick machte einen kleinen Jungen aus ihm. »Legen Sie sich doch auf das Gelände, wenn Sie sich dann besser fühlen. Aber die Anhörung wird im gebührenden Rahmen ablaufen.«
Sean stand auf und warf einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tisch. Das winzige Lächeln, das Rubin, der netto etwa vierhunderttausendmal mehr wert war als Sean, daraufhin aufsetzte, ließ Sean in blinder Wut aus dem Restaurant und die Madison Avenue hinuntertaumeln. Irgendwann blieb er stehen, um seinem Spiegelbild in einem Schaufenster einen finsteren Blick zuzuwerfen, der ihm bestätigte, dass jedes ungepflegte Detail an ihm Respektlosigkeit geradezu herausforderte. Seine Haare, ordentlich glatt gekämmt, bevor er das Haus verließ, waren völlig zerzaust, da er die Angewohnheit seines Vaters besaß, sich mit der Hand hindurchzufahren, wenn er unter Stress stand. Wenn er versuchen würde, das hochnoble Geschäft, vor dem er stand, zu betreten, würde der bebrillte eulenhafte Verkäufer im Anzug, der ihn durch die Scheibe beobachtete, vermutlich nicht auf den Türöffner drücken.
Im Schaufenster lagen lange weiße Handschuhe wie aufgebahrte Leichen nebeneinander, was ihn an Rubins Spöttelei erinnerte – »Legen Sie sich doch auf das Gelände, wenn Sie sich dann besser fühlen.« Und plötzlich hatte Sean eine Eingebung. Er setzte sein irrsinnigstes Lächeln auf, drückte auf den Klingelknopf, bis er die Panik im selbstgefälligen Gesicht der alten Eule sah, und setzte seinen Weg fort.
Das erste gemeinsame Treffen von »Save America from Islam« und Seans frisch umbenanntem »Komitee zur Verteidigung der Gedenkstätte« fand wenige Tage später in einer Kirche in Brooklyn statt, die ihnen zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt worden war. Die SAFI s, wie sie sich selbst nannten, als seien sie einer der verlorenen Stämme Israels, waren größtenteils von Staten Island, Queens und Long Island angereist und fast ausschließlich Frauen. Soviel Sean wusste, hatte keine von ihnen jemanden bei den Anschlägen verloren. Der radikale Islam war einfach nur ihre Freizeitobsession. Der Zorn von Seans Mutter war die meiste Zeit so still, dass man fast vergessen konnte, dass er existierte. Nicht so bei den SAFI s. Sie waren die Profis unter den Aktivisten.
Ihre Anführerin, Debbie Dawson, sah aus wie eine in die Jahre gekommene Angelina Jolie, mit der die Zeit nicht sonderlich sanft umgesprungen war. Sie musste an die fünfzig sein, aber ihr Blog, The American Way , zeigte sie in einer durchsichtigen Burka, unter der sie nur einen Bikini anhatte. Heute allerdings trug sie ein T-Shirt mit der handgestickten Aufschrift »Ungläubig« und am Hals einen klobigen, strassbesetzten PEACE -Anhänger.
Sie war es, die Sean angerufen und den Vorschlag gemacht hatte, ihre Gruppen zusammenzuschließen.
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