Der amerikanische Investor (German Edition)
hinaustreten. Die Kinder würde er nach einer kurzen Umarmung freundlich, aber bestimmt in ihre Zimmer beordern, und noch im Flur würde er seiner Frau seinen Plan erörtern. Du hast die Wahl, würde er enden, überlege es dir gut, und seine Frau würde, nachdem sie ihr ungläubig überraschtes Gesicht von ihm abgewandt hätte, sich mit beiden Händen auf die Kommode stützen und tief Atem holen. Dann würde sie, als sei er gar nicht da, sich Luft zufächelnd, an ihm vorüber ins Wohnzimmer gehen, und erst nachdem sie dort noch eine Weile gänzlich versunken am Tisch gesessen hätte, würde sie ihren Kopf zu ihm aufheben. Ist das tatsächlich dein Ernst? Einen weltweiten Aufruhr willst du gegen den amerikanischen Investor organisieren. Dieser Mann ist gefährlich! Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass du damit nicht nur dein, sondern auch mein Leben und das unserer Kinder aufs Spiel setzt. Aber wenn du entschlossen bist, so bin ich es auch. Nur müssen wir Vorsichtsmaßnahmen treffen. Gleich morgen verschicken wir die Kinder zu den Großeltern und dann starten wir einen verschlüsselten Aufruf im Internet. Wir brauchen so viele Mitstreiter wie möglich. Hast du auch Zettel und Stift schon bereit? Warte, ich will nur noch schnell Zigaretten holen gehen. Das ist doch für uns beide ein Grund, endlich wieder mit dem Rauchen zu beginnen.
Er schloss die Augen. Mit der Dreistigkeit, dass ausgerechnet hier, in einem seiner eigenen Häuser, sein baldiger Sturz vorbereitet wurde, würde der amerikanische Investor niemals rechnen. Die ganze Wohnung umfunktioniert zu einem Quartier! Menschen aus aller Welt, die durch den amerikanischen Investor drangsaliert und gequält wurden! Trotzdem mussten sie ihren Aufruf im Internet zu ihrer eigenen Sicherheit unbedingt verschlüsseln. Die Wohnung böte ja auch gar keinen Platz für all die Menschen, die durch den amerikanischen Investor in Bedrängnis geraten waren. Zuerst galt es, einen harten Kern herauszuschälen, zehn, vielleicht zwanzig intelligente und ruhelose Mitstreiter, die sich, um erst einmal die Situation zu sondieren, hier in dieser Wohnung, bei verdunkelten Fenstern, durch dichten Zigarettenqualm, einander immer wieder harsch ins Wort fallend, endlose Debatten lieferten. Gemäßigte und Radikale, mit vom Kaffee zittrigen Händen und strähnigem Haar, die sich feindselig aus müden Augen über den Tisch hinweg beobachteten und die dann doch, wie plötzlich vereint, wieder das Gleiche fühlten, wenn einer von ihnen aufsprang, um, von einer plötzlichen Wallung ergriffen, seine Geschichte zu erzählen. Es ist ein paar Jahre her, dass der amerikanische Investor in mein Leben trat, und auch bei mir war dieser Beginn so unspektakulär, wie er es bei uns allen war. Ich fand eine Mitteilung im Briefkasten vor, dass unser Haus verkauft sei. Wenig später schloss das Fenster im Badezimmer nicht mehr. Erspart mir bitte die Details. Ihr habt sie alle selbst so oder ähnlich erlebt. Aber glaubt mir bitte, Freunde, wie leicht mir ums Herz wurde, als ich von euch erfuhr, dass ich, auch wenn einige von euch es nur im Geiste getan haben, nicht der Einzige war, der auf die Idee verfiel, dem amerikanischen Investor zu schreiben. Ungezählte Briefe sind es bei mir geworden. Erst jammernde, dann fordernde, dann wieder jammernde. Unser ganzes Leben war bald nur noch auf diesen Menschen ausgerichtet. All unsere Handlungen und Gedanken galten ihm. Jeden Tag hat meine Frau einen neuen Schokoladenkuchen gebacken, denn natürlich habe ich den amerikanischen Investor in jedem dieser Briefe zu uns eingeladen, damit er sich an Ort und Stelle unserer Situation erbarmt. Mit den Kindern habe ich Indianertänze eingeübt, die sie immerzu um den Esstisch vollführen mussten, und ihre Schulaufgaben haben sie vernachlässigt, weil ich jeden Abend mit ihnen aus Draht und Pappe Flugzeuge bastelte. Man konnte sich kaum noch bewegen, weil überall in der Wohnung, an durchsichtigen Fäden, diese Flugzeuge von der Decke hingen. Die Polster, auf denen wir nicht mehr saßen, die Betten, in denen wir nicht mehr lagen, waren bespickt mit amerikanischen Fähnchen, die wir aus Zahnstochern gefertigt und selbst bemalt hatten. Und wofür das alles? Nur um den amerikanischen Investor bei einem eventuellen Besuch milde zu stimmen. Meine Frau hat bald so viel Kakaopulver unter ihr Puder gemischt, dass mich ihr Geruch abstieß, sobald sie das Zimmer betrat. Seit Monaten betrachten wir uns nur mehr mit Arglist und Bosheit im
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