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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
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inneren Not, die ihn aus nahezu tausend Gründen, die ich selbstverständlich alle geflissentlich überlesen habe, derzeitig umfangen hielt. Dennoch war da etwas in dem Brief, das mich zwischen den Zeilen hat aufmerken lassen, als sei dieser Mensch auf der Suche nach einer ihm bis dahin unbekannten Erfüllung, einer Erfüllung, die er sich, auch wenn seine Worte regelrecht stur das Gegenteil bezeugen wollten, von mir erhoffte. Deshalb schrieb ich ihm zurück und ließ ihn auf einem einsamen Rollfeld in mein Flugzeug steigen. Was für ein Glücksgriff! Der Anzug, den ich ihm verpasste, saß sogleich vortrefflich, und bis zum heutigen Tag hat er keine meiner Erwartungen unterlaufen. Im Flugzeug findet er keinen Frieden. Unruhig treiben ihn seine Beine auf und ab. Die ganze Zeit nestelt er dabei an seinem Fallschirm herum, und wenn ich dann meinen Finger senke, eilt er befreit, wie aus einem Albtraum erwacht, auf die Klappe zu. »Entmieten!«, schreit er. »Soll ich alles da unten entmieten!« Und kaum, dass ich ihm zugenickt habe, saust er schon mit grimmigem Gesicht in die Tiefe hinab und seine Kinder blicken ihm stolz und ungläubig hinterher. Über Tage hinweg schauen sie hinab, ob sie ihn noch irgendwo erblicken, und erst wenn wir ihn aus einem Meer oder von einem Berg wieder einsammeln, leuchten ihre Augen wieder auf. Staunend betrachten sie seine Blessuren, die Schwellungen und Schürfungen auf der Haut, die kleinen Schnitte und tiefen Wunden, und kurz nimmt er sie in seine Arme, bevor er sich dann mit ihnen vor mir niederlässt und trotz seiner Müdigkeit mit strengem Blick prüft, ob sie auch während seiner Abwesenheit meine Schuhe ordentlich geputzt haben. Ach Teuerste, so viel könnte ich Ihnen von diesem Diener erzählen, ein Buch würde nicht ausreichen, aber ich muss mich jetzt leider entschuldigen. Oder haben Sie kein Geräusch aus dem Flur vernommen? Ist da nicht gerade eine schwere Tasche auf den Boden gefallen? Wissen Sie, meine Zukünftige sieht es nicht gern, wenn ich mich anderen Frauen zu dicht nähere. Ein Mordsweib, sage ich Ihnen. Ein mindestens ebenso guter Fang wie dieser Diener. Aber eifersüchtig kann sie werden und böse kann sie sein. Dann wieder wie ein Kätzchen. Nur mir zuliebe trägt sie nur noch Höschen, die mir gefallen. Ich bevorzuge ihre Höschen nämlich ouvert. Aber das bleibt natürlich entre nous.
    Er stöhnte auf und öffnete die Augen. Lag er noch immer im Bett? War er noch immer allein?
    Er hob den Kopf, ließ ihn wieder sinken und sah zur Decke hinauf. Gräulich entfloh sie seinem Blick. Nur die Glühbirne war noch fest umrissen, und er wandte sein Gesicht um. In der Ecke stand der Ofen und unter der Tür zum Wohnzimmer quälte sich ein schmaler Lichtschein hindurch. Das war bereits die Abendsonne. Auf seinen Sessel schien sie und auf den kleinen Tisch, auf dem er immer sein Weinglas absetzte. Auf den Zollstock schien sie, mit dem er seine täglichen Messungen vornahm, und auf das Bücherregal.
    Er schloss die Augen. Würde er diesen Raum jemals wieder betreten? Würde er jemals wieder in seinem Sessel sitzen und dem Radio lauschen? Wie würden seine Tage von nun an aussehen? Würde er sich auch weiterhin zweimal täglich die Zähne putzen? Würde er am Morgen die Brotboxen der Kinder aus dem Kühlschrank nehmen, um sie am Abend wie selbstverständlich wieder aufzufüllen? Würde er nachts an ihre Betten treten und sich mit einem Kuss auf den Lippen zu ihren leeren Kissen hinabbeugen? Oder würde er Tag und Nacht mit einem seligen Lächeln im Gesicht still dasitzen, den Kopf leicht schief gestellt, als lauschte er gerade ihren dünnen Stimmen nach? Würde nicht alles in dieser Wohnung ihn immerzu an sie erinnern? Die Möbel, auf denen sie immer herumgeturnt waren, die Türen, die sie immer so laut zugeschlagen hatten, die Böden, die so lange von ihren stampfenden Schritten erschüttert worden waren, die Wände mit den Abdrücken ihrer schmutzigen Hände. Würde er sich nicht an all das immerzu anlehnen wollen, in schmerzlicher Zärtlichkeit, und würden die rohen Menschen, die irgendwann kämen, um mit ihren schaufelartigen Händen die Wohnung auszuräumen, ihn dann überhaupt noch bemerken? Könnte er hier nicht einfach fortleben, teilnahmslos und unauffällig zugleich, fern von dem, was ihn zukünftig umgab, zwischen den Fugen der Dielen oder im Mörtel der Wände versteckt, den Blick grau und verklärt in die Erinnerung geworfen? Er hatte sich doch schon längst von

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