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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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sie zu Besuch war? Ich hab mich doch schon entschuldigt. Was soll ich denn noch tun?«
    Er sah zu mir auf. »Mich ärgert gar nichts, Daniel. Du scheinst derjenige zu sein, der sich aufregt.« Er ging weiter, und ich eilte ihm nach. Über die Schulter hinweg sagte er: »Weißt du noch, wann wir uns das erste Mal getroffen haben?«
    »Klar, natürlich. Das war auf dem Spielplatz am Metropolitan Museum. Wir spielten mit unseren Wasserpistolen. Du warst mit deiner Mutter dort.«
    »Und du warst allein.«
    »Bevor ich dich getroffen habe, ja.«
    »Genau.«
    »Ja, und?«, fragte ich. »Was willst du mir damit sagen?«
    Wieder blieb er stehen, drehte sich um und sah mich an. »Was hast du an jenem Nachmittag gemacht, bevor du mich getroffen hast?«
    Ich blinzelte ihn an. Blitzschnell griffen meine Gedanken auf die Erinnerung an jenen Tag zurück. Klar und deutlich sah ich den Spielplatz vor mir, das kränkliche Grau des Sandes, die abgeblätterte rote Farbe an der Rutsche, sogar das Profil der Reifenschaukeln hatte ich vor Augen. Ich erinnerte mich an die sehr lebhafte Phantasie über den Tyrannosaurus, an den kühlenden Sand unter dem Bauch, den Klang von Claires Stimme, als sie ihren Sohn rief. Aber ich ging noch weiter zurück, und Lukes Gesicht, dicht vor meinem, war das Erste, was ich zu fassen bekam. Davor war nichts. Auch er wusste das und nickte zufrieden.
    Eine Weile gingen wir schweigend weiter, bis wir an den scharfen Einschnitt eines Flüsschens kamen. Das Flüsschen zeigte keine Strömung, lag ruhig da in seinem groben Bett, schwarz, mit kleinen Schauminselchen darauf. Luke beugte sich vor und spuckte hinunter. Sein Blick folgte der Spucke, die auf der Wasseroberfläche trieb, bis sich die Fläche durch eine Brise kräuselte. Unsere Spiegelbilder verschmolzen ineinander, während der Wind das Wasser aufrauhte, bis sich eine Wolke vor die Sonne schob und uns auslöschte wie ein umgekipptes Tintenfass. Luke drehte sich zu mir um. »Du hast gesagt, du wolltest mir helfen.«
    Ich nickte vorsichtig.
    »Ich habe über das nachgedacht, was du über Richard gesagt hast. Über seine Arroganz. Ich habe über ein paar Sachen nachgedacht, die er gemacht hat, über Dinge, die er zu mir gesagt hat. Du hast vermutlich recht.«
    »Okay«, sagte ich.
    »Ich möchte ihm einen Schreck einjagen«, sagte er. »Wie Omar. Mehr nicht. Ich will ihm nur zeigen, wie sich das anfühlt. Und ich möchte, dass du mir hilfst. Tust du das?«
    Ich fragte mich, warum er jetzt damit kam, ob es vielleicht eine Falle wäre. Aber selbst, wenn es so sein sollte, wäre das egal. Ich hatte nichts zu verlieren. »Natürlich«, sagte ich. »Dazu bin ich ja da.«
     
    Am folgenden Abend führten wir Richard auf den Rasen hinter den neuesten Wohnheimen auf dem Campus – moderne weiße Kästen, wie überzüchtete Bauklötze – und hockten uns über einen Kanaldeckel, der tief in den Rasen eingelassen war. Es war drei Uhr früh, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Richard zog ein Paar Baseballhandschuhe an und dehnte seine Finger. »Das habe ich schon lange vor. Dies scheint mir der geeignete Moment zu sein!« Er zog ein Fläschchen aus seiner Gesäßtasche und klopfte ein wenig Pulver auf seinen Studentenausweis. »Eine Prise Mut aus Kolumbien?« Er reichte Luke die Karte, der sich mit einem Zug eine Nase voll reinzog. Ohne großes Aufsehen nahm auch Richard rasch eine, zog sich dann die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf und umfasste mit den Handschuhen einen der Griffe des Kanaldeckels. Luke nahm den anderen, und beide hoben sie die Eisenscheibe aus ihrer Fassung. Es quietschte wie gesunkene Schiffe, die über den Meeresboden schrammen. Ich sah in ein tiefschwarzes Rund. Nach den ungenauen Karten, die wir im Internet gefunden hatten, befanden sich unter dem ganzen Campusgelände Versorgungstunnel, ein Labyrinth aus Wartungskammern, Wasserleitungen und Lüftungsschächten. Seit Hannah sie erwähnt hatte, wollte auch ich sie sehen und hatte Luke davon überzeugt, dass sie für unseren aktuellen Plan absolut perfekt waren. Dieses Mal wollte ich vorangehen. Ich schwang meine Beine in das Loch, stieg die Leiter hinab und begab mich zügig in die Dunkelheit. Ich stieg hinab, bis mein unterster Fuß keine weitere Sprosse mehr finden konnte und in der Luft rührte. Ich hielt inne, aber da kam auch schon Luke und über ihm Richard. Mir blieb nichts, als loszulassen. Also ließ ich mich fallen und fand mich auf allen vieren auf einem verdreckten

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