Der Andere
Richards Stimme bekam einen giftigen Unterton. »Verdammt, wie kann man nur so dämlich sein. Hast du sonst noch etwas vergessen? Vielleicht hast du auch noch vergessen, wie man hier wieder rauskommt? Fällt dir das wenigstens noch ein, du armer Irrer?«
»Hör auf, Richard. Direkt über uns ist ein Ausgang.«
»Ich dachte, der Weg, den wir gekommen sind, wäre der einzige.«
»Folg einfach meinen Fußspuren.«
Mit übertrieben plumpem Schritt stapfte Luke los. Den Karten nach musste sich am Ende dieses Ganges ein weiteres Gefälle befinden, ähnlich dem, durch das wir zuvor gekommen waren, nur ein paar Fuß tiefer und ohne das Geflecht kochend heißer Rohre. Am unteren Ende des Gefälles musste eine kleine Kammer zu finden sein, die außer einer verriegelten Metalltür nichts enthielt. Der Plan bestand darin, Richard dazu zu bringen, sich vor uns in diese Kammer hinabzulassen. Wenn er dann dort unten war – ohne Seil, ohne Schlüssel –, wollten wir uns in den Tunnel zurückziehen, um kurze Zeit später zu einem zitternden Häufchen Dankbarkeit zurückzukehren. Die zerbrochene Taschenlampe war ein Glücksfall, der uns sehr entgegenkam: die absolute Dunkelheit, das Aufwallen von Erleichterung, wenn Luke nicht nur mit einem Seil, sondern auch noch mit Licht zurückkam.
Schätzungsweise nur noch ein paar Meter trennten uns vom Tunnelende. Ich streckte meine Hand aus, um Luke ein Zeichen zu geben, dass er stehen bleiben sollte. »Mein Rücken tut weh«, klagte Richard irgendwo hinter uns. »Das ist doch dämlich, herumzukriechen wie die Affen.«
Der Tunnel schien in der Dunkelheit enger zu sein, presste sich gegen uns wie eine verengte Vene. Die Dunkelheit bemächtigte sich meiner Gedanken, rüttelte Erinnerungen wach. Ich war ein zerbrochenes Spielzeug, zusammengerollt auf dem Küchenboden. Ich war ein verängstigter Schatten, der im Central Park herumirrte. Ich war ein Körper, der durch die grelle Nachmittagssonne stolperte. Ich war nichts, eine Phantasie, eine Ahnung, eine Ansammlung von Gefühlen und unausgereiften Wünschen. Ich konnte den Tunnelboden unter meinen Füßen nicht spüren. »Luke«, keuchte ich. »Was ist los?«, fragte er. In diesem Moment kehrte die Welt zu mir zurück, und ich zu mir.
»Hast du was gesagt?«, fragte Richard.
»Klar. Komm hier hoch und hilf mir mit dem Rost.«
Richard schleppte sich heran, streifte mich in der Dunkelheit, verfluchte Staub, Hitze, Dunkelheit, die Kakerlaken und überhaupt die verdammte, dämliche Idee. »Also gibt es einen Weg hier raus? Wo sind wir eigentlich genau?«
»Unter der Sporthalle«, erklärte Luke. »Das ist ein Wartungsraum. Wir lassen uns hinab, und da unten ist dann eine Tür, die zu den Umkleidekabinen im Schwimmbad führt.«
»Was für eine beschissene Idee«, fluchte Richard. Er klopfte an den Rost. Beide zogen, und ich vernahm ein Knirschen, diesen erbärmlichen Klang, den Metall von sich gibt, wenn es sich beklagt. »Feste«, sagte Luke, als sich der Rost plötzlich löste und beide nach hinten kippten. Ich streckte meine Hand in den freien Raum, ertastete Luke neben mir und flüsterte: »Jetzt musst du spielen, dass du dich fürchtest.«
Beide krochen weiter und streckten ihre Köpfe über die Kante.
»Ich kann das nicht«, sagte Luke.
»Was soll das heißen?«, fragte Richard.
»Ich habe Angst.«
»Was ist los mit dir?«
»Ich kann nichts sehen.«
»Ich auch nicht, aber du hast uns doch hierhergebracht.«
»Ich kann nicht vorgehen, Richard. Und wenn wir die ganze Nacht hier sitzen. Ich mach das nicht.«
Richard sog die stickige Luft ein und stieß sie langsam wieder aus. »In Ordnung. Wie konnte ich von einem wie dir etwas anderes erwarten?«
Ein kratzendes Geräusch war zu vernehmen, dann sagte er: »Ich bin schon halb draußen.« Ich hörte, wie er sich langsam zurückbewegte, wie sein Oberkörper und seine Arme am Wellblech entlangrutschten. Von irgendwo da unten drang das Grollen einer Maschine an mein Ohr, eines Generators, eines Häckslers oder einer anderen gewaltigen Apparatur, die, unseren Blicken entzogen, die Tätigkeit verrichtete, die wir von ihr verlangten. Richard sagte: »Irgendwas stimmt hier nicht.«
»Da ist nichts«, sagte Luke. »Deine Füße sind schon halb auf dem Boden.«
»Es fühlt sich … tiefer an.«
»Lass einfach los.«
»Luke«, sagte Richard, »vielleicht kommt der Tag, an dem du kein solches Arschloch mehr bist. Aber bis dahin kannst du mich mal.« Und er ließ los.
Wir warteten
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