Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
einer in meiner oder deiner Redaktion eine Ahnung hat und ein Gerücht in die Welt setzt, wird daraus in allerkürzester Zeit eine Tatsache. Und dann sind diesen Ahnungen keine Grenzen mehr gesetzt. Du weißt doch, wie schnell aus einer gemeinsamen Tasse Kaffee nach der dritten Erzählung eine leidenschaftliche Affäre werden kann.«
»Ist das denn so schlimm?«
Liv seufzte erschöpft. »Von deinem Standpunkt aus gesehen vielleicht nicht, aber von meinem aus – ja. Ich muss mich mit der Tatsache herumschlagen, dass ich neu im Sender und dazu noch eine Frau bin. Und das ist nicht immer leicht,
Thorpe. Jede noch so unbedeutende Aktion wird bei mir immer genauer unter die Lupe genommen als bei anderen Leuten. Trifft sich die Carmichael mit Thorpe, weil sie sich davon einen Aufstieg ins nationale Team verspricht?«
Thorpe studierte sie einen Moment. »Du besitzt nicht genug Selbstvertrauen.«
»Ich bin eine gute Reporterin«, versetzte sie blitzschnell.
»Ich spreche von dir als Frau.« Er sah, wie sie ihren Schutzschild hob und verfluchte sich im Stillen für diese Bemerkung.
»Das geht dich nichts an.«
»Aber unterhalten wir uns nicht gerade genau über dieses Thema?«, konterte er. »Ich habe einer Frau eine Rose geschickt, nicht einer Reporterin.«
»Ich bin Reporterin.«
»Das ist dein Beruf, nicht dein Geschlecht«, stellte er richtig und trank einen Schluck Wein, um seinen Ärger hinunterzuspülen. Er wusste, dass er damit bei ihr nicht weiterkommen würde. »In unserem Beruf braucht man ein dickes Fell, Liv. Wenn du dich von Kollegengeschwätz beeindrucken lässt, wirst du dir eine Menge blaue Flecken einhandeln. Schau doch mal in den Spiegel. Die Leute reden selbstverständlich über eine Frau mit so einem Gesicht. Das ist unsere menschliche Natur.«
»Es geht doch nicht nur darum.« Liv gab ein wenig nach. Sie hatte mit ihm reden wollen. Und wütend zu werden, würde sie ihrem Ziel nicht näher bringen. »Ich möchte keine persönlichen Beziehungen – weder mit dir noch mit sonst jemandem.«
Thorpe studierte sie schweigend über sein Glas hinweg. »Hat man dich so sehr verletzt?«
So eine Frage hatte sie nicht erwartet, und schon gar nicht den Anflug von Mitgefühl in seiner Stimme. Es kostete sie einige Mühe, seinem Blick standzuhalten und die Fassung nicht zu verlieren. »Ja.«
Thorpe beließ es dabei. Dass sie dieses Eingeständnis gemacht hatte, anstatt kühle Abwehr zu zeigen, reichte ihm vorerst. Den Rest konnte er getrost abwarten. »Weshalb bist du nach Washington gekommen?«
Liv sah ihn einen Moment erstaunt an. Sie hatte damit gerechnet, dass er ihr weitere Fragen stellen würde, aber nicht,
indem er locker das Thema wechselte. Noch etwas misstrauisch gestattete sie es sich, sich zu entspannen. »Ich habe mich schon immer für Politik und Politiker interessiert. Das war eigentlich auch in Austin mein Bestreben, obwohl ich meist nur die Nachrichten verlesen habe. Als ich dann das Angebot vom WWBW bekam, habe ich sofort zugegriffen.« Liv wandte sich wieder ihrem Essen zu. »Außerdem ist Washington eine sehr aufregende Stadt, besonders aus der Sicht eines Reporters. Und Aufregung war das, was ich wollte. Wahrscheinlich brauchte ich den Druck.«
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dich auf die Landesnachrichten zu verlegen?«
Sie machte eine vage Geste mit den Schultern. »Natürlich, aber im Augenblick bin ich glücklich, wo ich bin. Carl ist der beste Nachrichtenchef, mit dem ich je gearbeitet habe.«
Thorpe grinste. »Er neigt dazu, emotional zu werden.«
Liv zückte eine Braue und versuchte die letzten Nudeln auf ihrem Teller aufzuwickeln. »Besonders wenn irgendwelche Überflieger von oben ihm eine Story vor der Nase wegschnappen. Heute Nachmittag bei der Pressekonferenz des Bürgermeisters musste ich einem deiner Kollegen vehement auf die Zehen steigen.«
»Ach, tatsächlich? Wem denn?«
»Thompson. Der mit den großen Ohren und den grauenvollen Krawatten.«
»Eine sehr schmeichelhafte Beschreibung.«
»Nein, eine sehr zutreffende«, berichtigte Liv und musste unwillkürlich grinsen. »Wie auch immer. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um nach der Konferenz ein kurzes Interview mit dem Bürgermeister zu ergattern, und er wollte tatsächlich auf den Zug aufspringen.«
»Und du hast ihn auf seinen Platz verwiesen, nehme ich an.«
Liv gestattete sich jetzt ein ganzes Lächeln. Es amüsierte sie noch im Nachhinein, wie sie den geschäftigen Thompson
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