Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
du?«
»Ich meine, dass du frei bist.«
»Aber doch nicht wegen Farrell.«
»Nicht?« Eztli zuckte die Schultern. »Okay.«
Ro hielt den Rauch in den Lungen, während er zu seinem Fahrer hinüberschaute. Ihn beschlich das Gefühl, das er schon mehrfach im Besucherraum des Gefängnisses verspürt hatte: dass nämlich im Kopf dieses Mannes mehr vor sich ging, als es das unbewegte, stoische Gesicht vermuten ließ. Seine Eltern hatten Eztli nun schon seit zehn Jahren in ihren Diensten, und sie waren clevere, abgebrühte Menschen, die auf Sentimentalitäten keinen Wert legten. Wäre Eztli einfach nur ein dummer Muskelberg, hätte er schon längst einen Fehler gemacht und wäre entlassen worden. Aber er hatte nicht nur überlebt, sondern lebte in ihrem großen Haus praktisch mit der Familie zusammen. Er musste schon ein kluges Köpfchen sein und sich auch anderweitig unabkömmlich gemacht haben.
Abgesehen davon, dass er im Gefängnis im wahrsten Sinne des Wortes Ros Arsch, wenn nicht gar sein Leben gerettet hatte.
Ro blies den Rauch aus, den er inhaliert hatte. »Siehst du das nicht genauso?«, fragte er. »Was Farrell angeht?«
Eztli behielt die Straße im Blick und nahm sich eine gute Minute Zeit, bevor er antwortete. »Ich glaube, was deine Mutter und dein Vater glauben.«
»Und was ist das?«
»Dass, wenn Farrell dich im Knast haben will, du auch im Knast landest.«
»Aber er …«
Eztli schüttelte den Kopf. »Er spielt sein Spiel.«
»Warum sollte er das tun?«
»Weil er ein Politiker ist. Er hält sich beide Seiten offen. Das tun sie alle.« Eztli streckte seinen rechten Arm aus, und Ro reichte ihm den Rest des Joints, der bis auf den letzten Zentimeter runtergebrannt war. Nachdem er den Rauch ausgestoßen hatte, fuhr er fort: »Schau her, mach dir doch nichts vor. Farrell trifft die Entscheidung. Er geht zu einem Richter – zu jedem Richter – und sagt: keine Kaution. Punkt. Und dann gibt es keine Kaution. Aber er hat’s nicht gemacht. In beiden Fällen hat er’s nicht gemacht. Und er lässt zu, dass dein Anwalt ein halbes Jahr Zeit bekommt, um sich einzuarbeiten. Und mit dem halben Jahr wird’s nicht getan sein. Es wird sich ein Jahr hinziehen, zwei Jahre, vielleicht für immer. Und deshalb ist Farrell der beste Freund, den du haben kannst. Er schenkt dir Zeit, und Zeit ist das Wichtigste.«
»Zeit wofür?«
»Nun, für alles.« Er blinzelte zu Ro hinüber. »Für alles, was du zu tun hast.«
Gloria Serrano, geborene Gonzalvez, war in ihrem Element, wenn sie sich um die Wäsche ihrer Familie kümmern durfte. Manchmal meinte sie, bis ans Ende der Zeit waschen zu können, weil es sie wunschlos glücklich machte – vorausgesetzt natürlich, dass sie es für ihre Söhne, ihre Tochter und ihren Mann tat. Sie liebte den Duft – sowohl den moschusartigen Geruch der Kleidung, die sie aus dem Wäschekorb zog, wie auch den frischen, süßlichen Waschmittelgeruch, wenn sie die Kleidungsstücke – fast noch zu heiß zum Anfassen – aus dem Trockner holte. Sie hatte Spaß daran, die weißen Sachen von den farbigen zu trennen und die getrockneten Hemden so schnell zu falten, dass sie völlig knitterfrei blieben.
Sie liebte es sogar, nach der verlorenen Socke zu forschen, die sich fast bei jeder Ladung in Luft aufzulösen schien.
An diesem Sonntagnachmittag, ihrem einzig freien Tag in der Woche, hatte sie gerade die Wäschestapel säuberlich auf die Arbeitsplatte neben der Waschmaschine gelegt. Ihre Waschküche befand sich in der Garage des kleinen Hauses in Sunnydale, das sie und Roberto sich endlich hatten kaufen können.
Heute war es eine von Robertos roten Socken, die unauffindbar blieb. Sie bückte sich, steckte ihren Kopf in den Trockner, drehte dann mit der Hand die Trommel, doch die Socke blieb verschwunden.
Sie hoffte, dass sie irgendwo zwischen der Wäsche liegen würde, die sie bereits gefaltet hatte. Sonst kam eigentlich nur noch die Waschmaschine in Frage – was aber auch unwahrscheinlich war, da sie immer zweimal nachschaute, wenn sie die nasse Wäsche herausnahm. Bei dieser Gelegenheit fand sie nämlich immer Geldstücke – und manchmal gar Scheine –, die sie dann ansparte, um ihren Kindern oder Roberto ein kleines Geschenk zu kaufen.
Seit sie für Ramons siebten Geburtstag im November das letzte Geschenk gekauft hatte, ein Lego-Kriegsschiff, das er inzwischen bestimmt zwanzig Mal zusammenge setzt hatte, waren immerhin fast 20 Dollar zusammengekommen, die ungewöhnlich hohe
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