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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sie hochfahren.
    »Wie zum Kuckuck hat Ambrose davon Wind bekommen?«, fauchte er in den Hörer und drehte sich dabei zur Seite.
    Erneutes Schweigen. Sarah betrachtete seinen Rücken und fragte sich, welche Katastrophe Nick O’Hara wohl so verärgert haben mochte. Bisher hatte sie ihn als einen Mann eingeschätzt, der sich völlig beherrschen konnte. Aber dieser Eindruck änderte sich jetzt. Sein Ärger überraschte sie, und irgendwie wirkte Nick dadurch viel menschlicher.
    »Gut«, sagte er in den Hörer, »ich bin in einer halben Stunde dort. Hör zu, Tim, es ist etwas Neues passiert. Jemand ist in Sarahs Apartment eingebrochen. Nein, es ist nichts gestohlen worden. Kannst du mir die Nummer deines Freundes beim FBI geben? Ich möchte … Ja, es tut mir leid, dass du da hineingeraten bist … Aber …« Er drehte sich um und sah Sarah mit einem gequälten Blick an. »Gut! In einer halben Stunde. Auf in die Höhle des Löwen! Wir treffen uns in Ambroses Büro.« Mit finsterer Miene legte er auf.
    »Was ist los?«, fragte Sarah.
    »So enden acht glorreiche Jahre beim Außenministerium«, murmelte Nick, griff wütend nach seinem Mantel und ging zur Tür. »Ich muss gehen. Hören Sie, die Sicherheitskette ist noch in Ordnung. Legen Sie sie vor. Noch besser wäre es, wenn Sie heute Nacht bei Ihrer Freundin blieben. Und rufen Sie die Polizei an. Ich komme, so schnell ich kann, zu Ihnen zurück.«
    Sarah folgte ihm in den Korridor. »Aber Mr. O’Hara …«
    »Später!«, rief er im Gehen über die Schulter zurück. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe verhallen, und schon einen Augenblick später knallte die Eingangstür zu.
    Sarah schloss die Tür und legte die Kette vor. Dann sah sie sich langsam um. Aber alles war an Ort und Stelle.
    Nein, nicht ganz. Irgendetwas war anders. Wenn sie nur wüsste, was es war …
    Sie war schon mitten im Zimmer, als es ihr plötzlich zu Bewusstsein kam: Auf dem Bücherregal war eine leere Stelle. Ihr Hochzeitsbild war verschwunden. Warum in aller Welt hatte man ausgerechnet dieses Foto entwendet?
    Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als das Telefon klingelte. Wahrscheinlich war es Abby, die sie, wie verabredet, anrief. Sarah nahm den Hörer ab.
    Als Erstes vernahm sie das typische Rauschen eines Ferngespräches. »Hallo?«, sagte sie in die Muschel.
    »Komm zu mir, Sarah. Ich liebe dich.«
    Der Schrei blieb ihr im Hals stecken. Das Zimmer fing plötzlich an, sich wild vor ihren Augen zu drehen, und sie griff Hilfe suchend um sich. Der Hörer rutschte ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Das ist doch unmöglich!, dachte sie. Geoffrey ist tot …
    Langsam griff sie wieder nach dem Hörer, um wieder diese Stimme zu hören, die nur von einem Geist stammen konnte.
    »Hallo? Hallo? Geoffrey!«, schrie sie hinein.
    Das Rauschen war nicht mehr zu hören. Die Leitung war stumm, und nach einigen Sekunden kam das Freizeichen.
    Aber sie hatte genug gehört. Alles, was in den letzten zwei Wochen geschehen war, fiel von ihr ab wie ein Albtraum bei Tag. Nichts davon war wirklich gewesen. Die Stimme, die sie gerade vernommen hatte – diese Stimme, die sie so gut kannte –, sie war wirklich.
    Geoffrey lebte.

4. KAPITEL
    »Jetzt reicht es, O’Hara!« Charles Ambrose stand vor der geschlossenen Tür des Büros und sah tadelnd auf seine Armbanduhr.
    Unbeeindruckt hing Nick seinen Mantel auf und sagte: »Tut mir leid, es ging nicht anders. Der Regen hat uns verzö…«
    »Wissen Sie eigentlich, wer jetzt in meinem Büro wartet? Ich meine, haben Sie irgendeine Vorstellung?«
    »Nein. Wer?«
    »Ein Mensch namens van Dam. Er rief mich heute früh an und wollte über den Fall Fontaine informiert werden. Welchen Fall Fontaine?, habe ich gefragt. Ich musste mir von ihm sagen lassen, was in meiner eigenen Abteilung vor sich geht! Zum Teufel, O’Hara! Was zum Kuckuck bilden Sie sich eigentlich ein? Was glauben Sie, was Sie hier machen?«
    Nick erwiderte seinen Blick in aller Ruhe. »Meine Arbeit, um genau zu sein.«
    Statt eine Antwort zu geben, riss Ambrose die Bürotür auf. »Sehen Sie da hinein, O’Hara!«
    Ohne mit der Wimper zu zucken, betrat Nick das Büro. Im Rest des Tageslichts sah Nick einen Mann an Ambroses Schreibtisch sitzen. Er war ungefähr Mitte vierzig, groß, schweigsam und sehr bleich. Von Tim Greenstein war keine Spur zu entdecken. Ambrose schloss die Tür, ging an Nick vorbei und setzte sich an die Seite des Schreibtisches. Die Tatsache, dass er nicht hinter seinem eigenen

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