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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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frage mich, warum man uns nicht weiter verfolgt«, überlegte Nick laut.
    »Vielleicht sind sie müde.«
    »Sehen wir zu, dass wir vorankommen. Wenigstens haben wir jetzt eine Atempause.«
    »Sie haben also nichts für den CIA übrig?«, fragte Sarah.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Das ist ein anderer Menschenschlag. Ich traue denen nicht, und ganz besonders nicht Roy Potter.«
    »Was hat Ihnen Mr. Potter denn getan?«
    »Mir? Nichts. Außer dass er mich vielleicht nach Washington zurückbefördern könnte.«
    »Ist Washington so schlimm?«
    »Es ist keine Stadt, wo man erfolgreich Karriere im Auswärtigen Dienst machen kann.«
    »Wo dann?«
    »An Krisenherden wie Afrika oder Südamerika.«
    »Und trotzdem waren Sie in London.«
    »London war nicht meine erste Wahl. Man hatte mir Kamerun angeboten, aber ich musste den Posten ablehnen.«
    »Weshalb?«
    »Wegen Lauren, meiner Exfrau.«
    »Oh.« So also hieß sie – Lauren. Sarah fragte sich, was zwischen den beiden wohl schiefgegangen sein mochte. War es wie bei so vielen anderen Ehen gewesen, wo man sich mehr und mehr entfremdete? Oder Langeweile? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Nick sie je langweilen würde. Er hatte ein vielschichtiges Wesen, das man Zug um Zug für sich entdecken musste. Konnte eine Frau ihn überhaupt je ganz kennen?
    Schweigend gingen sie weiter, vorbei an den Briefkästen und bogen dann in die Whitstable Lane ein. Das Bauernhaus kam in Sicht. Der alte Gärtner war nirgendwo zu sehen.
    »Das ist das Haus«, sagte sie.
    »Gut. Nun bin ich gespannt, ob jemand da ist«, meinte Nick. Er ging zum Vordereingang und klingelte. Nichts rührte sich. »Umso besser«, murmelte er. Sarah folgte ihm zum Hintereingang. Nick drückte die Klinge herunter und öffnete die Tür. Sie war nicht verschlossen.
    Tageslicht flutete über den polierten Steinfußboden, auf dem Scherben eines Tellers lagen. Sonst schien alles an Ort und Stelle zu sein. Die Schubladen der Küchenschränke waren geschlossen. In einer Reihe hingen kupferne Töpfe und Pfannen ordentlich über dem Herd. Auf dem Fensterbrett standen zwei verwelkte Pflanzen. Außer dem tropfenden Geräusch des undichten Wasserhahnes war es totenstill im Haus.
    Sarah schrak zusammen, als Nick die Hand auf ihren Arm legte. »Warten Sie hier«, flüsterte er. Das zerbrochene Porzellan knirschte unter seinen Schritten, als er durch die Küche in den angrenzenden Raum ging.
    Sarah wartete. Sie kam sich dabei wie ein Eindringling vor.
    »Sarah?«, rief Nick aus dem Nebenzimmer. »Kommen Sie doch bitte hierher.«
    Sie folgte ihm in das Wohnzimmer. In den Wandregalen standen ledergebundene Bücher, und auf dem Kaminsims waren Porzellanfigurinen aufgereiht. Im Kamin lagen noch die Reste von dem letzten Feuer, das Eve angezündet hatte. Nur der Schreibtisch war durchsucht worden. Man hatte die Schubladen herausgezogen und umgestülpt. Die Korrespondenz – meistens Rechnungen und Reklamesendungen – war aufgerissen und auf den Fußboden geworfen worden.
    »Raub war nicht das Motiv«, stellte Nick fest und wies auf den offensichtlich antiken Zinnpokal, der über dem Kamin stand. »Ich glaube, man war hinter einer Information her, vielleicht einem Adressbuch oder einer Telefonnummer.«
    Sarah sah sich in dem Raum um. Gewiss war es ein gemütliches Heim, wenn das Kaminfeuer loderte und das Licht gedämpft war.
    Wenige Schritte entfernt stand eine Tür offen. Sarah fühlte sich wie durch eine unerklärliche und peinigende, magische Kraft dort hingezogen. Sie wusste, was sie vorfinden würde, und doch konnte sie sich nicht zurückhalten, den Raum zu betreten.
    Es war das Schlafzimmer. Mit Tränen in den Augen stand Sarah am Ende des Ehebettes und betrachtete den geblümten Überwurf. Dies war das Bett einer anderen Frau. In Gedanken sah sie Geoffrey dort liegen – mit Eve in den Armen. Die Vorstellung schmerzte. Wie viele Nächte hatte er hier geschlafen? Wie oft hatten sie sich geliebt? Während er in diesem Bett lag, hatte er nicht manchmal Sarah vermisst, wenigstens ein kleines bisschen?
    Das waren Fragen, die nur Geoffrey beantworten konnte. Sie musste ihn finden. Sie musste die Antworten wissen, sonst würde sie niemals wieder frei sein können.
    Tränenüberströmt stürzte sie aus dem Schlafzimmer. Kurz darauf stand sie allein am Rande der Klippe und starrte hinaus auf das Meer. Sie nahm Nicks Schritte kaum wahr, als er sich ihr von hinten näherte.
    Sie fühlte jedoch seine Hände, die er zart auf ihre

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