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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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fettiger Schweiß. Ich ging noch etwas weiter, aber nun war ich mir fast sicher, dass ich zu weit gegangen war. Der Zugang zum Kaninchenbau war verschwunden oder hatte überhaupt niemals existiert, was bedeutete, dass mein ganzes Leben als Jake Epping – alles von meinem preisgekrönten Future-Farmers-of-America-Garten in der Grundschule über meinen abgebrochenen Roman im College bis zu meiner Heirat mit einer an sich liebenswerten Frau, die meine Liebe zu ihr fast in Alkohol ertränkt hatte – eine einzige verrückte Halluzination gewesen war. Ich war schon immer George Amberson gewesen.
    Ich ging noch etwas weiter, dann machte ich schwer atmend halt. Irgendwo – vielleicht in der Färberei, vielleicht in einem der Websäle – brüllte jemand: »Du kannst mich mal kreuzweise!« Ich fuhr zusammen, und dann ließ das brüllende Gelächter, das auf diesen Ausruf folgte, mich ein weiteres Mal zusammenzucken.
    Nicht hier.
    Verschwunden.
    Oder nie da gewesen.
    Und empfand ich Enttäuschung? Angst? Regelrechte Panik? In Wirklichkeit nichts von alledem. Eigentlich empfand ich klammheimliche Erleichterung, weil ich dachte: Ich könnte hier leben. Und sogar mühelos. Glücklich sogar.
    Stimmte das auch? Ja. Ja.
    Es stank in der Umgebung von Fabriken und in öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen alle wie verrückt qualmten, aber fast überall sonst roch die Luft unglaublich frisch. Unglaublich neu . Das Essen schmeckte gut; Milch bekam man direkt an die Haustür geliefert. Durch die Zwangsentwöhnung von meinem Computer hatte ich genügend Durchblick gewonnen, um zu erkennen, wie süchtig ich nach dem verdammten Ding gewesen war, an dem ich Stunden damit verbracht hatte, dämliche E-MailAnhänge zu lesen und Websites zu besuchen – aus dem einzigen Grund, aus dem Bergsteiger den Everest besteigen wollten: weil er da war. Mein Handy klingelte nie, weil ich nämlich keines hatte, welch große Erleichterung. Außerhalb der Großstädte telefonierten die meisten Leute noch von Gemeinschaftsanschlüssen aus. Und sperrten die meisten von ihnen nachts ihre Haustüren ab? Den Teufel taten sie. Sie machten sich Sorgen wegen eines Atomkriegs, aber ich konnte in der Gewissheit leben, dass die Menschen des Jahres 1958 alt werden und sterben würden, ohne zu erleben, wie eine Atombombe außerhalb eines Kernwaffenversuchs gezündet wurde. Niemand machte sich Sorgen wegen eines Klimawandels oder Selbstmordattentätern, die entführte Verkehrsflugzeuge in Wolkenkratzer steuerten.
    Und wenn mein Leben im Jahr 2011 keine Halluzination gewesen war (was ich in meinem Innersten wusste), konnte ich Oswald trotzdem aufhalten. Ich würde nur nicht erfahren, wie die Sache letztlich ausging. Aber damit würde ich irgendwie leben können.
    Okay. Als Erstes musste ich zum Sunliner zurückgehen und aus Lisbon Falls verschwinden. Ich würde nach Lewiston fahren, den Busbahnhof aufsuchen und mir eine Fahrkarte nach New York kaufen. Von dort aus würde ich mit dem Zug nach Dallas fahren oder … Teufel, warum sollte ich nicht fliegen? Ich hatte immer noch reichlich Bargeld, und kein Angestellter einer Fluggesellschaft würde einen Lichtbildausweis verlangen. Ich brauchte nur das Geld für ein Ticket auf den Tisch zu legen, und Trans World Airlines würde mich an Bord willkommen heißen.
    Über diese Entscheidung war ich so erleichtert, dass ich wieder weiche Knie bekam. Der Schwächeanfall war nicht so schlimm wie in Derry, als ich mich hatte setzen müssen, aber ich lehnte mich haltsuchend an den Trockenschuppen. Mein Ellbogen stieß gegen die Blechverkleidung, die leise boing! machte. Und im nächsten Augenblick kam eine Stimme aus dem Off. Heiser. Fast ein Knurren. Eine Stimme aus der Zukunft, wenn man so wollte.
    »Jake? Bist du das?« Darauf folgte eine Salve von trockenen, bellenden Hustenlauten.
    Ich hätte beinahe geschwiegen. Ich hätte schweigen können. Dann erinnerte ich mich daran, wie viel von seinem Leben Al in dieses Projekt investiert hatte – und dass ich nun der Einzige war, auf den er noch hoffen konnte.
    Ich wandte mich dem Husten zu und sprach mit gedämpfter Stimme. »Al? Sprich mit mir. Zähl mit.« Ich hätte hinzufügen können: Oder huste einfach weiter.
    Er begann zu zählen. Ich ging auf den Klang seiner Stimme zu, wobei ich den Asphalt vor mir mit der Schuhspitze abtastete. Nach zehn Schritten – weit jenseits des Punkts, an dem ich aufgegeben hatte – stieß meine Schuhspitze in der Vorwärtsbewegung gegen einen

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